geht’s noch?
: Gelähmte Unternehmen

Die Vorstände der deutschen börsennotierten Konzerne sind nun zu 8,6 Prozent weiblich besetzt – das sind 61 Frauen, 11 mehr als im Vorjahr. Fortschritt sieht anders aus

Gleichstellung ist ein scheues Reh. Zwar gibt es viele kleine Bambis, die mal hier, mal dort über die Wiese springen. Aber das eine ganz große Tier, an dem sich alle erfreuen, ist nicht zu sehen. Auf die Realpolitik und die Wirtschaft hierzulande bezogen, heißt das: Es gibt zwar einige positive Gleichstellungsgesetze, die ­zaghafte Veränderungen bewirken, aber auf den durchschlagenden genderpolitischen Erfolg wartet die Republik vergeblich.

Ein Teilgesetz, das den Anteil von Frauen in Führungspositionen in Top­unternehmen erhöhen und das Machtgefälle zwischen Frauen und Männern abschwächen soll, gilt seit Mai 2015. Was ist in dreieinhalb Jahren passiert? Nun ja: Das Reh bleibt scheu.

Der Frauenanteil in den Vorständen der 160 börsennotierten ­Unternehmen beträgt laut einer aktuellen Erhebung der Unternehmensberatung Ernst & Young gerade mal 8,6 Prozent. 2011, also vor Geltung der gesetzlichen Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen, waren es laut der Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ 3 Prozent. Das Gesetz bewirkt also etwas, ist aber so behäbig, dass man meinen könnte, das Reh sei nicht nur scheu, sondern stark verängstigt. Wovor aber hat es Angst?

Das Reh befindet sich im Wald einer Unternehmenskultur, die sich durch Quotengesetze, Vereinbarkeitsregeln und wiederholte Gleichstellungsappelle kaum beeindrucken lässt. Zwar gibt es Firmen, die von Frauenhand (mit-)geleitet werden, Väter, die mehr als nur die üblichen zwei Monate Elternzeit nehmen, Frauen, die nach oben streben. Aber machen wir uns nichts vor: Die männliche Dominanz und Präsenz in den Führungsetagen ist nach wie vor so stark, dass das Reh es kaum wagt, den Kopf rauszustrecken.

Manche Chefs haben zwar intellektuell verstanden, dass das Label „Bei uns führen auch Frauen“ auf der Waldlichtung durchaus Eindruck macht. Mit der „Frauenförderung“ meinen sie es häufig allerdings doch nicht so ernst. Da bremsen Chefs Frauen, die sie als Alibi an der Spitze postiert haben, rigoros aus. Andere holen sich gezielt solch weiblichen Führungsnachwuchs, der den Männern selbst in keinster Weise gefährlich werden kann.

Das ist nicht nur verlogen, infam und ungerecht, sondern vor allem lähmend für die Unternehmen. Wie oft sollen noch all die Studien zitiert werden, die jenen Unternehmen, die auf Vielfalt und Diversität setzen, bessere Wirtschaftserfolge bescheinigen? Wer ernsthaft Veränderung will, muss dem scheuen Reh der Gleichstellung ernsthaft Mut machen. Simone Schmollack