„Das ist ein Aha-Effekt“

PROTESTKULTUR II Dieter Rucht weiß, wieso eine Bewegung ohne eingängige Symbole nicht lange überdauern kann. Der Soziologe über die Bedeutung der Farbe und die Verbreitung der Zeichen des Widerstandes

■ 66, der Soziologe gilt als deutschlandweit führend in der Protest und Bewegungsforschung, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac und leitete bis 2011 die Forschungsgruppe „Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

taz: Herr Rucht, wie wichtig sind Symbole im Widerstand? Dieter Rucht: Sie sind essentiell. Kollektive Identitäten können zwar verkündet werden, aber sie bleiben auf Dauer nicht griffig. Die Symbole dienen ihrem Fortbestehen.

Inwiefern?

Proteste sind punktuelle Ereignisse. Sie dauern Stunden oder vielleicht mal Tage, doch dann sind sie weg. Auch das mediale Interesse ist an diese Aktionen gebunden. Die Symbole hingegen sind Zeichen der Dauerhaftigkeit, jenseits von Themen-Konjunkturen. Sie ermöglichen dem Protest einfach eine Dauerpräsenz.

Und was bedeuteten sie für den Einzelnen?

Sie dienen als Signale untereinander, mal für Insider als Erkennungszeichen, oft als nonverbales, persönliches Bekenntnis zu einer Sache, zum Beispiel auf dem eigenen Grundstück.

Wo findet man solche Protest-Symbole?

Häufig dort, wo lokaler Widerstand gut verankert ist. Denn solche Symbole sind auch eine Identifikation mit der Sache für die Menschen vor Ort, eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, ein „wir in dieser Region, wir sind dagegen“. Es geht auch darum, physische Räume durch bestimmte Zeichen einzunehmen, sie zu okkupieren und auf diese Weise auch die Territorialhoheit zu gewinnen. Insbesondere gilt das natürlich für die etwas radikaleren Gruppen.

Warum verbreiten sich diese Phänomene überregional?

Weil es die Ausbreitung des Widerstandes signalisiert. Der Aha-Effekt beim Vorbeifahren kann zeigen, dass hier einer die gleichen Ziele wie man selbst verfolgt und es auch woanders Gleichgesinnte gibt.

Sind diese Symbole in der Landschaft eine neue Entwicklung?

Die gab es als Protestform schon immer. Als Mittel, um Betroffenheit zu visualisieren. Schon Bauernbewegungen haben im 16. Jahrhundert Bundschuhe, also Lederschuhe mit langen Bändchen, als Symbol für ihr Freiheitsstreben hergenommen.

Ein gelbes X, ein gelbes A, auch CCS-Maske und Y-Trasse haben schwarze und gelbe Elemente. Wie wichtig ist die Farbe?

Die Farbe muss sich stark herausheben und eine Signalwirkung inne haben. Jeder Wahrnehmungspsychologe würde ein unauffälliges Grau wohl als denkbar ungünstig bezeichnen. Darüber hinaus kann Farben natürlich auch eine Bedeutung zugeschrieben werden, zum Beispiel der Warnhinweis für Radioaktivität oder auch die Pluralität der Regenbogenfarben.

INTERVIEW: ARNE SCHRADER