Rosa hat nicht in der DDR gewohnt

Das Arsenal zeigt schon vor Rosa Luxemburgs 100. Todestag (am 15. Januar) Filme, gedreht zwischen 1967 und 1981 – Bilder, denen man ansieht, welche Mühe die SED hatte, die Sozialistin in ihre Ahnengalerie einzufügen

Bei Hummeln und Wiesen glücklicher als auf Parteitagen: Rosa Luxemburg Foto: Defa-Stiftung/Bernd Merten/Jürgen Bahr

Von Stefan Reinecke

Im Hintergrund ertönen Oboen, wir sehen schwarz-weiße Kinderfotos, fast sanft in Szene gesetzt. Die Kamera gleitet über das Foto der Fassade von Rosa Luxemburgs Geburtshaus. Die Kommentarstimme sagt, dass „Rosa als Kind mit Shakespeare groß wurde“ . Sie liest Marx, mit 18 muss sie vor politischer Verfolgung aus Polen fliehen. In Deutschland wird sie nach 1900 Agitatorin und Lehrerin an der SPD-Parteihochschule. Fotos beglaubigen, dass sie vor Arbeitern redet und auf einem Gruppenfoto neben August Bebel steht. „Ich habe das Bedürfnis, auf die Leute wie ein Blitz zu wirken“, so ein Luxemburg-Zitat aus dem Off.

„Rosa Luxemburg – Stationen ihres Lebens“, gedreht 1970 von Renate Drescher, ist ein kurzes dokumentarisches Biopic. Die Musik ist elegisch, ohne Fanfarenstöße. Wir erfahren, dass Luxemburg an eine Freundin schreibt, dass sie sich bei „Hummeln und Wiesen“ näher bei sich fühlt als auf Parteitagen. Das galt 1967 schon als Eigenwilligkeit.

Der 21-Minuten-Film verknüpft das Private und das Heroische, fügt das Inoffizielle in die offizielle Lesart ein. Gleich zu Beginn heißt es: „Lenin nannte sie einen Adler der Revolution“. Das soll alle folgenden Bilder und vorsichtige Andeutung von Dissens ideologisch imprägnieren.

„Luxemburgismus“ war in der parteikommunistischen Geschichte eine Verurteilung, die zu Stalins Zeiten das Leben kosten konnte. Die Kommentar-Stimme versichert, dass Luxemburg mit Lenin „besonders freundschaftlich“ verbunden war. Meinungsverschiedenheiten? Nebensächlich.

Sprengsatz im Regime

Die kleine Meinungsverschiedenheit war Luxemburgs posthum veröffentlichte Analyse der russischen Revolution 1917. Die Kritik der Bolschewiki gipfelte in dem berühmten Satz, dass „die Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden ist“. In der DDR erschien 1983 die Gesamtausgabe der Werke von Rosa Luxemburg. Diese Sentenz, ein Sprengsatz in jedem autoritären Regime, wurde in einer Fußnote versteckt. Mit der Wahrheit zu lügen ist in Diktaturen Königsdisziplin.

Das knappe Biopic enthält das ambivalente Verhältnis des Regimes zu Luxemburg, die es als Märtyrerin für sich reklamierte, die sich aber kaum reibungslos in die Ahnengalerie einfügen ließ. 1989 zog die Bürgerbewegung mit dem Satz „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ auf die Straße.

Diese Zwiespältigkeiten sind auch in „Der Mord, der nie verjährt“ zu sehen, einem solide inszenierten Court-Room-Drama. Der Spielfilm stellt recht präzise den Jörns-Prozess von 1929 nach. Jörns, ein deutschnationaler, demokratiefeindlicher Jurist, hatte 1919 als Militärrichter den Mord von Liebknecht und Luxemburg untersucht und verschleiert, dass die Morde von Reichswehrtruppen geplant, angeordnet und durchgeführt wurden. Ein linker Journalist hatte Jörns dies 1929 vorgehalten, der klagte dagegen wegen Beleidigung.

Im dem Gerichtsdrama sind Schwarz und Weiß klar erkennbar: Aufrechte Arbeiter tragen Lederjacke, das Herz am rechten Fleck und lesen die Rote Fahne. Die Offiziere sind hinterhältig und tragen Uniform und Kneifer. Doch die juristischen Tricks, die Wortduelle vor Gericht, die Raffinesse, mit welcher der rechtsradikale Hauptmann Pabst die Morde vertuschte, sind professionell inszeniert (Regie: Wolfgang Luderer).

Jörns, Reichswehrgeneral Hoffmann, Pabst sind keine psychologisch durchgearbeiteten Figuren. Sie verkörpern die Reaktion, das Bündnis von Rechtsextremen, Reichswehr und Justiz – das aber mit Präsenz. Sie zeigen Gefühle, sind verärgert, wenn vor Gericht schlagfertig Beweise zum Mord an Luxemburg präsentiert werden. Und sie haben Namen.

„Luxemburgismus“ konnte einen unter Stalin das Leben kosten

Der in Ungnade Gefallene

Der Rechtsanwalt des Journalisten bleibt indes namen- und gefühllos. Er ist nur eine Funktion vor Gericht. Wir sehen ihn nie im privaten Gespräch. Dieser Anwalt war Paul Levi, Ex-Geliebter von Luxemburg, KPD-Mitbegründer, der ausgeschlossen wurde, weil er die Militanz und die Unterordnung unter Moskau ablehnte. Levi trat später in die SPD ein und trieb die Aufklärung der Morde an Luxemburg und Liebknecht voran. Er starb 1930. Als man seiner im Reichstag gedachte, verließen KPD und Nazis den Saal.

Den Namen Levi in diesem Prozess zu verschweigen und ihn zur Nebenrolle zu verkleinern, ist zutiefst unehrlich. Gerade in einem Film, der der historischen Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen will, ist diese Fälschung gravierend. Es ist ein Echo der stalinistischen Praxis, in Ungnade Gefallene auf Fotos wegzuretuschieren.

Rosa Luxemburg erscheint nur als Schattenriss. Man sieht sie in einer Rückblende eine Sekunde von hinten – eine Figur, die von Gewehrkolben getroffen wird und niedersinkt. Ein elliptisches Bild. Es wirkt wie eine Metapher für das Verhältnis des DDR-Regimes zu Luxemburg: Sie bleibt unsichtbar.

100. Todestag Rosa Luxemburg, Kino Arsenal, 7. Januar, ab 19 Uhr