Lasst doch das Weibliche in den Jungs

Anna Calvi stellt ihr Album „Hunter“ vor – sie changiert dabei clever mit Geschlechtszuschreibungen

Von René Hamann

Sie hatten ihr einen Laufsteg gebaut, mit einem Mikrofon am Stegende. Anna Calvi, Britin mit italienischen Vorfahren, nutzte den Laufsteg gern und ausgiebig. Ansonsten hatte sie nicht viel: ein schwarz-rotes Kostüm, einen Schlagwerker und eine Multiinstrumentalistin, die meist am Keyboard auftauchte, oft im Nebel verschwand. Sattes Rotlicht über der Bühne, eine Gitarre und eine Stimme: Anna Calvi steht hier im ausverkauften Astra Kulturhaus klar im Mittelpunkt, das Geschehen ist eindeutig auf sie fokussiert. Und auch wenn die Windmaschine fehlt: Anna Calvi liefert.

Das Publikum hat sie schnell auf ihrer Seite, trotz anfänglicher Schwierigkeiten. Rockmusik, wie Calvi sie macht, impliziert inzwischen ein gewisses Alter, was sich an diesem Freitagabend, zumindest was das Publikum betrifft, bewahrheitet. Interessierte Menschen über 40, die noch einmal dem Gesang einer schwarzhaarigen Sirene, einer Femme fatale mit Locken folgen wollen.

Ein blutrotes, immer etwas schwülstiges Drama

Und richtig, nah am Klischee ist der Abend immer: Calvi spielt Gitarrensoli, für die sie vom Fleck weg verhaftet worden wäre, wäre sie ein Mann. Es gibt Hall und Feedbacks, die sie lässig in die Halle kippt. Es gibt reines, blutrotes, immer etwas schwülstiges Drama. Langgezogene Songs ihrer drei Platten, die sie dehnt und zerrt, um Laut-leise-Varianten ein- und wieder Spannung bis zum nächsten Höhepunkt aufzubauen. Rockmusik eben. Laszive Musik, die immer auch auf eine weiblich konnotierte Erotik setzt. Da heißt dann ein Stück tatsächlich „Desire“. Klar denkt man da an U2 oder Bob Dylan, klar denkt man an PJ Harvey.

Calvis Stück ist eigen genug, um diese Vergleiche für den Moment gleich wieder zu vergessen; und doch sind es nur zwei Elemente, die sie aus dem bloß Epigonalen rettet. Zum einen ist das ein Hit wie „Susan and I“, in dem ihre ganze Musik vorhanden ist. Wäre man böse, müsste man sagen: Mehr braucht es nicht, alle anderen Stücke sind musikalisch mehr oder weniger Variationen dieses Hits.

Aber es gibt noch den zweiten Aspekt, das andere Element: Nämlich das clevere Changieren der Geschlechtszuschreibungen. Calvi covert „I’m your Man“, hat selbst ein Stück, das sich „As a Man“ nennt, versucht immer wieder, das Weibliche gegen das Männliche auszuspielen und umgekehrt; die Schweinerocksoli sind insofern auch eine Form von positiver Aneignung. Und dann wäre da noch ein Stück von ihrer neuen Platte, die ebenso vielsagend „Hunter“ heißt. „Don’t Beat the Girl Out of My Boy“ heißt das Stück, das auch eine Single ist, ein Anflehen in Richtung reaktionär-autoritärer Wesenheiten, wenn man so will. Lasst doch das Weibliche in meinen Söhnen, hört auf, sie hart machen zu wollen. So kann man das zumindest interpretieren. In dem Fall wäre das eine etwas präemanzipiert anmutende Bitte, die aber wohl immer noch nötig ist.

Am Ende der Zugabe steht tatsächlich eine Coverversion von „Ghostrider“ von Suicide. Also mit cooler Rockmusik auch an den Schnittstellen zu Underground und Elektronik kennt sich die Britin aus. Geschmackvoll bleibt das alles immer. Und „neu“ ist eine Zuschreibung, die im Kontext von Rockmusik haltlos geworden ist. Es gibt nichts Neues mehr unter der Sonne. Nur eine Frau in Rot, die die Gitarre spielt wie ein Mann – ein Satz in vollem Bewusstsein und dem Wissen, wie schwierig er eigentlich ist.

Und im Valentinstüberl, beim Bier nach dem Konzert, läuft Patti Smith. Vorbilder gibt es immer.