Keine Musikerinnen? Wir schicken Ihnen eine Liste

Inklusion, Frauenförderung und die Toten: Das Musicboard Berlin, das Pop in Berlin fördert, empfing in der neuen Betonhalle des Silent Green

Von Jenni Zylka

Irgendwie passt es ja: Krematorien entstanden einst im Zuge der freidenkerischen Bewegung. Während die ChristInnen ihre Toten unter die Erde brachten, nahmen sich die FreidenkerInnen frech heraus, sie einzuäschern. Das ehemalige Krematorium und jetzige Kunstquartier Silent Green im Wedding, in dessen „Betonhalle“ das Musicboard Berlin am Donnerstagabend zum Neujahrsempfang lud, kann also auf eine lange Tradition der Gegenkultur zurückblicken.

Und war vielleicht auch darum ein so passender Gastgeber für die Jahresauftaktveranstaltung des interdisziplinären Musikförderers, die seit ein paar Jahren Tradition ist – und die den Beteiligten, ganz unfreiwillig, aufgrund der dicken Betonwände eine konzen­trier­te und extrem redselige Night Out präsentierte: Da unten, im großen brutalistischen Venue, in dem einst über 800 Leichname gleichzeitig gelagert wurden, wie der Silent-Green-Leiter Jörg Heitkamp mit einer Mischung aus Stolz und morbiden Grusel in seinem Grußwort ausmalte, da unten gibt es nämlich keinen Handyempfang. Wieso auch – die Toten brauchten ihn nicht. Und jetzt, bei einer Party wie dieser, ist es doch eh viel schöner, tatsächlich miteinander zu reden, anstatt über das Handy Statusmeldungen an Abwesende abzusetzen.

Zunächst erzählte der Redner und Kultursenator Klaus Lederer jedoch von den „Überschriften für das Jahr“, unter denen man sich versammelt habe, Frauenförderung, Inklusion, die Selbstverständlichkeit der LGBT Community. Die rührige Leiterin des Music­boards, Katja Lucker, informierte danach in ihrer Begrüßungsrede über ihre Erfahrungen mit diesen Vorsätzen. Der Fokus „Inklusion“ werde gut angenommen, allein dass sämtliche Festivals sich nun mit diesem Thema auseinandersetzen müssen, sofern sie beim Musikboard vorstellig werden, setze ein Umdenken in Bewegung, führte Lucker später im Gespräch aus.

Weil klar sei, dass weder das Thema Inklusion noch die spezifische Frauenförderung schon nach einem Jahr gegessen ist, würde man bei diesen beiden Sujets weiterhin aufmerksam bleiben. „Wir schicken Ihnen einfach eine Liste!“, sagte Lucker auf die Frage, was sie Veranstaltern antworte, die behaupteten, schlichtweg nicht genug female acts für eine Show zu kennen. Inzwischen habe man es bei Musicboard-Projekten sogar schon mit einem Frauenanteil von über 50 Prozent zu tun, erläuterte Lucker. In diesem Jahr wolle man internationaler werden, in der ganzen Welt nach innovativen MusikerInnen suchen, gegen Abschottung arbeiten, sich öffnen. Etwa gerade jetzt in der Türkei eine Veranstaltung zu machen, obwohl die Beziehung zu Deutschland extrem wackelt, sei ja auch eine politische Aussage.

Nach den Reden blieb den Gästen nur das Feiern, was sie verlässlich taten – etwaige „Geister und Trolle“, die Heitkamp am Anfang als mögliche Reste der vorherigen Nutzung des Hauses erwähnt hatte, konnten die Atmosphäre anscheinend durchaus positiv beeinflussen. Überhaupt hebt sich der Neujahrsempfang wohltuend von ähnlichen Veranstaltungen ab, bei denen es mehr um Starkult als um Musik geht: Das Musicboard ist ein Strippenzieher, kein Blender. Dementsprechend tatkräftig wirkte am Donnerstag das Publikum aus MusikerInnen, ProduzentInnen, JournalistInnen und ExpertInnen. Und so wurde, während die DJs Chica Paula und Fink relaxt ihre theoretisch tanzbaren Tunes spannen, der klitzekleine Raucherraum an der beeindruckenden (Sarg-)Rampe beherzt vollgequalmt, und Cava, Wein und Bier flossen, als ob man die über 800 atmosphärischen Leichen der Vergangenheit demnächst aufzustocken plante. Falls tatsächlich ein paar Geister im Raum gewesen sein sollten, so hatten die an diesem Abend jedenfalls eine gute Zeit.