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Nach der großen Euphorie

Als 2015 Tausende Geflüchtete nach Hamburg kamen, gründeten sich viele Initiativen, um zu helfen. Doch was machen sie nun, da nur noch vergleichsweise wenige Hilfesuchende kommen? Drei Beispiele zeigen, dass sich Engagement in der Geflüchtetenhilfe immer noch lohnt

Angebot in drei Sprachen: Ein freiwilliger Helfer hält im September 2015 im Hamburger Hauptbahnhof ein Schild auf deutsch, englisch und arabisch, das hinweist auf Hilfe für Geflüchtete Foto: Bodo Marks/dpa

Von Juliane Preiß

„Der Bedarf an Unterstützung ist weiterhin enorm“

Manfred Ossenbeck, Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen

Tonnenweise Kleidungsstücke, dutzende Fahrräder liegen und stehen bereit, etliche Willkommenscafés und Treffpunkte haben ihre Türen geöffnet für Geflüchtete in Hamburg. Nur: Es kommen kaum noch neue. 369 waren es im Dezember vergangenen Jahres.

Anders 2015, damals suchten über 22.000 in der Stadt Zuflucht und Hamburg machte Schlagzeilen, als gefühlt die halbe Stadt ihre Kleiderschränke ausmistete und zu den Messehallen karrte, die vorübergehend als Ersteinrichtung für geflüchtete Menschen diente. In dieser Euphorie des Helfens haben sich Dutzende Initiativen gegründet. Doch was machen sie jetzt, da ihre Zielgruppe in Folgeunterkünfte gezogen ist, Jobs gefunden oder Hamburg schon wieder verlassen hat?

Flüchtlingshilfe Harvestehude e.V.
: Willkommen bei den VillenbewohnerInnen

Die Flüchtlingshilfe Harvestehude hat sich im Februar 2014 gegründet und es zu besonderer Popularität gebracht. Die Mitglieder setzten ein Zeichen gegen den Protest der AnwohnerInnen des Villenviertels, von denen drei vor Gericht gegen eine Folgeunterkunft für Geflüchtete stritten. Man habe dagegen stehen wollen, sagt Heidrun Petersen-Römer. Sie und die anderen Mitglieder der Flüchtlingshilfe informierten die Nachbarschaft auf Vollversammlungen.

Trotz Protest zogen Menschen in die Sophienterrassen ein, seien inzwischen „fester Bestandteil des Stadtteils“ geworden, sagt Petersen-Römer. Die Flüchtlingshilfe hat rund 400 Mitglieder. 100 davon arbeiten aktiv mit, anfangs noch im Wohnheim, mittlerweile in eigenen Räumen in der Heinrich-Barth-Straße im Grindelviertel. Dort finden Sprachkurse, gemeinsames Kochen und Berufsberatung statt. „Von 10 Uhr bis abends ist die Bude immer brechend voll“, sagt Petersen-Römer. Zu Beginn wurde viel improvisiert, mittlerweile seien alle routinierter. „Wir bekommen es gut hin, auch wenn die Finanzierung nicht einfach ist. Es ist als führe man ein Kleinunternehmen.“

Der Verein finanziert sich zu je einem Drittel aus dem Quartiersfonds, von der Bürgerstiftung und durch Spenden. Auch wenn die Proteste kein Thema mehr sind, Aufhören kommt nicht in Frage. Heidrun Petersen-Römer träumt von etwas Größerem: „Ein Haus wäre toll, wo wir viele Werkstätten unterbringen könnten, vielleicht sogar ein Restaurant.“ (jup)

Der größte Teil arbeitet weiter, weiß Manfred Ossenbeck vom Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen (BHFI), das im Juni 2016 von VertreterInnen von mehr als 90 Hamburger Ini­tiativen gegründet wurde. „Wir machen gerade eine Erhebung, um zu klären, wo die Initiativen mittlerweile stehen“, sagt Ossenbeck. Die Zahl der Ehrenamtlichen sei nicht genau zu beziffern. Zwar würden sich weniger als während der großen Euphorie 2015 engagieren, aber ein paar Tausend Menschen seien es noch immer. „Die Initiativen haben sich professionalisiert, eigene Räume angemietet, Webseiten erstellt, sich vernetzt“, so Ossenbeck.

Hanseatic Help
: Klamotten für die ganze Welt

Über sechs Millionen Kleidungsstücke, Stofftiere, Schuhe und andere Sachspenden haben die HelferInnen von Hanseatic Help schon verteilt. Angefangen hat alles im Spätsommer 2015, als sich in den Messehallen Kleiderberge auftürmten, gesammelt von HamburgerInnen für Geflüchtete.

Aus den SpendensammlerInnen sind Logistikprofis geworden, die ihr Lager seit April 2016 in der Großen Elbstraße haben. Der Mietvertrag wurde gerade verlängert, die Stadt hilft bei der Finanzierung. 30 Ehrenamtliche, zehn Bundesfreiwillige und andere HelferInnen nehmen dort Kleidung an, sortieren und verpacken.

Bei Hanseatic Help bestellen Hilfsorganisationen, ob für Geflüchtete, Obdachlose oder andere Bedürftige. „Die akute Notsituation hat sich entschärft, aber die Hamburger sind nach wie vor spendabel“, sagt Pressesprecherin Janina Fein. Leider kämen aber auch immer wieder Stücke an wie gebrauchte Unterwäsche oder Socken, die Hanseatic Help dann kostenpflichtig entsorgen müsse.

Was in Hamburg nicht gebraucht wird, verschickt man zusammen mit befreundeten Initiativen beispielsweise in den Irak oder nach Haiti. Die „Soziallogistik“ vor Ort bleibe das Herzstück, doch in Zukunft will der Verein mehr „Raum für soziale Begegnungen schaffen“, sagt Fein. Bestehende Projekte sollen ausgebaut werden. „Wir wollen uns“, sagt Fein, „auch mehr den Themen Nachhaltigkeit und Up­cycling widmen.“ (jup)

Eine Studie der Universität Hamburg, die von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (Basfi) gefördert wurde, zeichnet ein anderes Bild. Untersucht wurde das ehrenamtliche Engagement von Nachbarschaftsinitiativen in sechs Flüchtlingsunterkünften im Bezirk Altona. Die AutorInnen der Studie kommen zu dem Ergebnis, dass die Aktivitäten und Zahl der Ehrenamtlichen seit 2016 „stark zurückgegangen“ seien und auch die Nachfrage der UnterkunftsbewohnerInnen nach den Angeboten nachgelassen habe. „Dieses Ergebnis ist eher ernüchternd und entspricht nur teilweise unseren Erfahrungen“, sagt Ossenbeck.

Kids Welcome
: Spielen gegen den Alltag

Eine Massenunterkunft wie die Hamburger Messehallen es waren, hat für Kinder nicht viel zu bieten. Um ihnen trotzdem so etwas wie einen Alltag zu ermöglichen, organisierte eine handvoll Frauen betreute Spielzeiten. Aus diesen ersten, Projekten bildete sich Kids Welcome.

Die Mitglieder entwickelten Programme, mit denen sie in Ersteinrichtungen und Folgeunterkünfte gingen. „Tatsächlich haben wir mal kurz überlegt, ob wir das einstellen sollen“, sagt Simone Will von Kids Welcome. Denn man könne nicht einfach so in die Unterkünfte rein marschieren, sondern muss dafür Anträge stellen – eine komplizierte Angelegenheit. Doch Aufgeben war keine Option, zu wichtig war es den Mitgliedern, die Kinder aus den oft isoliert am Stadtrand gelegenen Unterkünften zu holen, um ihnen ein bisschen Abwechslung zu bieten.

Mittlerweile hat der Verein vier Festangestellte, sechs bis zehn Bundesfreiwillige und eigene Büroräume im Karoviertel. „Das Chaos vom Anfang hat sich gelegt“, sagt Will. Die Zielgruppe der Kids Welcome sind Kinder von 5 bis 12 Jahren. Neben den Aktionen für die Kleinen hilft der Verein auch Eltern dabei, sich einen Überblick über das Schulsystem zu verschaffen oder Anträge zu stellen. In Zukunft will sich Kids Welcome mehr dem Thema Empowerment und Kinderrechten widmen. (jup)

Festzustellen sei jedoch, dass die Angebote weniger in den Unterkünften direkt stattfänden. Sie seien fast immer stadtteilbezogen. Und Berufsberatungen seien dazugekommen, sagt Ossenbeck. „Das war früher gar kein Thema.“ Auch die inhaltliche Ausrichtung des BHFI habe sich verändert. Als der Integrationsfonds abgeschafft wurde, hatten viele Initiativen Bedenken, dass sie ihre Projekte nicht mehr finanzieren können. Bei Fragen, wie man beispielsweise Mittel aus den Quartiersfonds beantragt, hilft die BHFI. „Unsere Aufgabe ist auch, Positionen für die Arbeit mit Geflüchteten zu erarbeiten und sie gegenüber der Politik zu vertreten“, ergänzt Ossenbeck. Themen seien unter anderem die horrenden Wohngebühren in den Unterkünften oder Qualitätskontrollen bei Sprachkursen. „Der Bedarf an Unterstützung ist weiterhin enorm.“