liebeserklärung
: Hannover

Die Siedlung zwischen Neustadt am Rübenberge und Braunschweig zeigt ihre schöne Seele und führt geschlechtersensible Sprache in ihrem Schriftverkehr ein

Als Paradies des Mittelstands, der Bemittelten und jeder Mittelmäßigkeit beschreibt Anfang der 1930er Jahre der Philosoph Theodor Lessing Hannover. Seitdem ist der Coolnessfaktor der Stadt nicht wesentlich gestiegen. Ergebnis einer Kurzumfrage in der Redaktion: „Taugt nur zum Umsteigen“,„muss ich an Carsten Masch­meyer denken“, „Hannover ist öde, hässlich, provinziell“.

Doch nun hat sich Hannover dafür entschieden, gegenzusteuern. Die lokale Verwaltung geht mit einer Direktive an die Öffentlichkeit, die die Stadt zur Kämpferin für eine gerechtere Gesellschaft macht. Dass dieser Kampf per bürokratischem Akt vollzogen wird, macht die Aktion nicht weniger progressiv: Hannover führt geschlechtersensible Sprache für sämtlichen Schriftverkehr ein.

„Vielfalt ist unsere Stärke“, sagt Oberbürgermeister Stefan Schostock (SPD) und erklärt verbindliche Regeln, die ab sofort gelten: Wo möglich, sollen geschlechtsumfassende Formulierungen verwendet werden, also zum Beispiel „Redepult“ statt „Rednerpult“ oder „Lehrende“ statt „Lehrer“. Ist das nicht möglich, kommt das Gendersternchen zum Einsatz, das neben männlichen und weiblichen auch trans*- oder inter*-Personen einschließt.

Kaum hatte Hannover die neuen Schreibweisen öffentlich gemacht, brach Häme über die Stadt hinein – wie immer, wenn an der Männersprache gerüttelt wird, die das Deutsche in weiten Teilen noch ist. Die Welt will wissen, ob Hannover sonst keine Probleme hat, die Bild titelt „Gender-Gaga“, äußert „komplettes Unverständnis“ ob der neuen Formulierungen und befürchtet Sanktionen bei Nichteinhaltung, die es gar nicht gibt. Nur die AfD, die das Gendern in Deutschland laut Parteiprogramm ganz verhindern will, straft Hannover bislang mit Verachtung.

Hannover ist seit dieser Woche emanzipatorischer als die Sparkasse, der erstaunlich viel daran liegt, ihre Kundinnen weiter als Kunden bezeichnen zu dürfen, toppt Unis, die anhand freiwilliger Leitfäden gendern, und verschwestert sich mit den Berliner*innen, die das Gendersternchen in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen haben. Mag Hannover noch so grau aussehen: auf die inneren Werte kommt es an. Von denen hat die Stadt offenbar eine ganze Menge. Patricia Hecht