Endlich ohne Eigentum

INTERNET Die Open-Source-Bewegung beweist: Genossenschaften sind auch im digitalen Zeitalter kein überholtes Konzept. Im Gegenteil: Neue Technologien eröffnen neue Möglichkeiten

Die Frage nach dem geistigen Eigentum scheint überholt zu sein

VON ALINE LÜLLMANN

Für Genossenschaften haben sich im Internetzeitalter die Spielregeln verändert. Aber auch neue Möglichkeiten haben sich aufgetan. Oft werden digitale Zusammenschlüsse von den eigenen Mitgliedern zwar nicht als Genossenschaften aufgefasst. Dennoch beruhen diese solidarischen Gemeinschaften im Internet auf genossenschaftlichen Prinzipien.

Die festen Strukturen klassischer Genossenschaften werden jedoch in internetbasierten Gemeinschaften aufgebrochen. Partizipation beruht hier gemeinhin auf Freiwilligkeit, die Entlohnung ist häufig immateriell oder zumindest indirekt. Gleichzeitig werden durch das Internet räumliche Entfernungen aufgehoben. Auch Ausgrenzungsmechanismen aufgrund von (sozialer) Herkunft, sexueller Orientierung, Hautfarbe oder Geschlecht greifen nicht mehr.

Eine neue Art des Zusammenschlusses ist die Open-Source-Bewegung. Hinter dem Begriff können sich Projekte, Verteilsysteme oder Plattformen verbergen. Open Source bedeutet „quelloffen“: Der Code einer Software kann von allen eingesehen und verändert werden. Die bekanntesten Beispiele sind Linux, Firefox und Wikipedia.

Solange das Ergebnis der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird und keine kommerziellen Zwecke verfolgt werden, können die Quelltexte frei verändert werden. Die Wissensproduktion durch kollektive Kooperationen entstand als Antwort auf die Patentpolitik großer Computerfirmen wie IBM oder Microsoft, welche Lizenzen für ihre Produkte nur käuflich zugänglich machten, dies bis heute tun und damit den Markt und die Weiterentwicklung unter Kontrolle halten.

Für die Mitarbeit an großen Projekten gibt es Reputation in der Community

Bei Linux kam es erst 2004 mit der Veröffentlichung der Benutzer_innenoberfläche Ubuntu zu einer erhöhten Nutzer_innenfreundlichkeit sowie zur Kompatibilität mit anderen Programmen und einer Abkehr vom Euro- und US-Zentrismus. Open-Source-Programme wurden damit für die Masse nutzbar. Endgültig wurden sie als Alternative zu kommerziellen Betriebssystemen anerkannt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Genossenschaften, bei denen die Produkte oft nur für Mitglieder zur Verfügung stehen, sind bei digitalen Zusammenschlüssen die Ergebnisse auch für nichtbeteiligte Personen zugänglich. Die Beteiligung ist keine Bedingung für die Nutzung. Interesse an der Arbeit und der Wunsch, etwas zu schaffen, was für alle einsehbar und nutzbar ist, treibt die Mitglieder an.

Die Beweggründe, sich an der Erstellung solcher Kollektivgüter zu beteiligen, sind verschieden. Eine zentrale Motivation für diejenigen, die sich außerhalb von Angestelltenverhältnissen beteiligen, ist Anerkennung. Viele Unternehmen lassen sich die Programme anpassen und stellen diese dann weiterhin dem Markt zur Verfügung. Daher ist es notwendig, die Arbeit an den Projekten transparent zu machen, sodass klar nachzuvollziehen ist, wer welchen Beitrag geleistet hat. Für die Mitarbeit an großen Projekten gibt es Reputation in der Community und bei den Nutzer_innen. Außerdem bestimmen die Erfahrungen und Beiträge der Teilnehmer_innen die Führungsstrukturen. Wie bei den traditionellen Genossenschaften verlangen die Grundsätze der Bewegung, dass sich die Einzelnen der gemeinsamen Sache unterordnen, um eine bessere Qualität zu erreichen, von der dann alle profitieren.

Die Frage nach dem geistigen Eigentum wird bei der Open-Source-Bewegung nicht nur nicht im kapitalistischen Sinne beantwortet, sie scheint überholt. Die Ablehnung des kapitalistischen Besitzanspruchs ist ebenso Thema wie bei den Genossenschaften: Bei den einen dürfen die Produktionsmittel, bei den anderen die Informationen niemandem gehören oder allein dienen. Sie müssen – um Ungleichverteilung zu verhindern – allen zugänglich gemacht werden. Es geht um die Auflösung des Konzepts von (geistigem) Eigentum, das als öffentliches Gut nicht besessen werden kann. Ganz dem genossenschaftlichen Gedanken folgend, kann man es nur organisieren und verwalten – zum Nutzen und zur Förderung aller.