Debatte Politische Gewalt: Kokett und gefährlich

Keine Gewalt – das ist keine Parole, sondern die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens. Aufrufe zur Gewalt sind immer falsch.

Demonstranten mit Plakaten gegen Neonazis

Aufrufe zur Gewalt sind immer falsch – auch wenn sie sich gegen Faschisten richten Foto: dpa

Etwas wabert. Eine Frage, die jahrzehntelang keine Rolle mehr zu spielen schien, taucht plötzlich wieder auf: Ob politisch motivierte Gewalt gegen Rechtsextreme, jenseits von Notwehrsituationen, in einem Land wie Deutschland 2019 legitim oder sogar geboten sein kann. Auch in der taz und deren Umfeld, wird das kontrovers erörtert. Die Diskussion ist kokett – und gefährlich.

Nichts gegen Pro und Contra, im Gegenteil. Offene Debatten, die angstfrei geführt werden können, sind eine der größten Errungenschaften der Demokratie. Aber sie leben unter anderem davon, dass ihnen ein gemeinsames Koordinatensystem von Werten zugrunde liegt, in dem bestimmte Fragen eben nicht zur Diskussion stehen. Die Achtung der Menschenwürde ist nicht verhandelbar.

Pro und contra Rassismus? Pro und contra Vergewaltigung? Unvorstellbar, dass darüber in der taz hitzige Kontroversen entbrennen könnten. Aber in unserer Zeitung war zu lesen: „Wer im Kampf gegen Rechts die Parole ‚Keine Gewalt‘ zitiert, lässt Neonazi-Opfer im Stich.“

Dieser Satz ist in doppelter Hinsicht fatal. „Keine Gewalt“ ist keine Parole, sondern die Grundlage der Regeln menschlichen Zusammenlebens. Faustrecht und Lynchjustiz lassen sich auch dann nicht rechtfertigen, wenn sie die vermeintlich Richtigen treffen. Aber in dem Satz der taz wird ein fundamentales menschliches Prinzip einem anderen fundamentalen Prinzip entgegengestellt, nämlich der Solidarität mit Opfern. So entsteht der Eindruck, es gebe aus einem moralischen Dilemma keinen Ausweg. Wie einst Bertolt Brecht schrieb: „Auch der Haß gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge.“

Manchmal ist Notwehr unvermeidlich

Der Satz stammt aus dem Gedicht „An die Nachgeborenen“, das 1939 veröffentlicht wurde. Die Lage damals hat nichts mit der deutschen Realität des Jahres 2019 zu tun. Wir leben nicht in einer Diktatur – also nicht in einer Situation, in der illegitime staatliche Gewalt zum Alltag gehört –, sondern in einem Rechtsstaat. Der allerdings nicht immer funktioniert.

Für manche sind sie eine abstrakte, für viele bereits eine reale Bedrohung. Sie sind Nachbarn, Familienmitglieder, Politiker*innen: Leute, die sich menschenfeindlich äußern, oder die schon über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verfügen.

Soll man mit Rechten reden, muss man es überhaupt? Wie wehrt man sich, mit welchen Mitteln? Wie kann man der Gruppe ausweichen, wie sich dem Menschen annähern? Und wie schützt man sich, wenn die rechte Bedrohung allgegenwärtig ist?

In dieser Serie gehen wir auf die Suche nach Menschen, die über diese Fragen nachdenken, oder sie schon ganz konkret für sich beantworten mussten.

Bisherige Texte der Reihe:

Danke, Antifa

Gewalt öffnet das Tor zur Hölle

Gewalt als Agenda

Kokett und gefährlich

Antifa ohne Faschismus

Nicht erpressen lassen

„Es gibt kein Patentrezept“

Feine Sahne Freizeitzentrum

Bei Polizei und Bundeswehr sind Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen aufgedeckt worden, und es gibt gute Gründe für die Annahme, der Verfassungsschutz sei, zumindest in Teilen, nachsichtiger gegenüber Rechten als gegenüber Linken. Aber wenn sich derlei nachweisen lässt, dann wird das nicht akzeptiert. Es gibt Gerichte, es gibt ein funktionierendes Parlament, es gibt eine Medienfreiheit, die erlaubt, solche Missstände aufzudecken. In Deutschland, 2019. Wahr ist: Kein Rechtsstaat dieser Welt kann verhindern, dass Gewalttaten geschehen.

Allerdings ist auch wahr, dass weder die objektive noch die subjektiv empfundene Bedrohung überall gleich groß sind. In Sachsen ist das Risiko, Opfer rechtsextremer Gewalttäter zu werden, ungleich höher als in Berlin-Zehlendorf. Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen berechtigte Angst haben, weil sie sich auf Polizei und Justiz nicht verlassen können. Das ist gleichbedeutend mit Staatsversagen, und es ist eine der dringlichen Aufgaben von Gesellschaft und Politik, das zu ändern.

Bisher sind sie dieser Aufgabe nicht gerecht geworden. Was tun, solange die Zustände so sind, wie sie sind? Manchmal ist Notwehr unvermeidlich, und das bedeutet auch: Bereitschaft zur Gewalt. Aber es liegt eine Welt zwischen berechtigter Notwehr und der Behauptung, es sei heute und hierzulande prinzipiell – die Betonung liegt auf: prinzipiell – gerechtfertigt, Gewalt mit Gegen­gewalt zu beantworten.

Völkische Positionen haben Konjunktur

In dem Artikel der taz schilderte der Autor, dass er nach mehreren Konfrontationen mit Neonazis nicht mehr schlafen konnte. Bis ihn endlich Mitglieder der Antifa beschützten. Nicht die Polizei, wohlgemerkt. Schlimm genug. Sondern die Antifa. Sie hielt, mit Schlagstöcken bewaffnet, Wache in seinem Hausflur.

Die Dankbarkeit, die der Autor gegenüber der Antifa empfindet, ist gerechtfertigt. Aber diese Organisation hat in dieser konkreten Situation eben nicht Gewalt als Mittel der Politik propagiert. Sondern lediglich das Recht auf Notwehr in Anspruch genommen. Auch über das Recht darauf lässt sich nicht streiten, so wenig wie über die Achtung der Menschenwürde. Beides gehört zum Wertekanon einer demokratischen, freiheitlichen Gesellschaft.

Wer aus der Situation im Hausflur des taz-Autors den Schluss zieht, Gewalt gegen Neonazis sei grundsätzlich legitim, missachtet Leid und Gewissenskonflikte derjenigen, die unter Umständen und in Ländern leben, in denen das tatsächlich zutrifft. Es ist zu bezweifeln, dass diejenigen, die das propagieren, solche Zustände herbeiwünschen. Deshalb ist die Diskussion kokett – und gefährlich.

Ist die Diskussion über politische Gewalt eine strategische – oder wird hier eine moralische Frage diskutiert? Beides. Die AfD gewinnt nach wie vor an Zulauf, anders ausgedrückt: völkische und nationalistische Positionen haben Konjunktur. Wie soll man umgehen mit Feinden des demokratischen, parlamentarischen Systems, ohne das System selbst zu verraten?

Es gibt gute Gründe gegen Lynchjustiz

Die Frage stellt sich nicht nur beim Thema Gewalt. Sondern selbst bei so – scheinbar – harmlosen Überlegungen wie der, ob jemand von der AfD, die ja durchaus demokratisch legitimiert ist, auf jedes Podium eingeladen werden muss, auf dem es um ihre Themen geht.

Diese Frage ist, wie viele andere, bislang unbeantwortet. Umso wichtiger ist es, dass wenigstens an den Grundsätzen, auf die sich freiheitliche Gesellschaften verständigt haben, festgehalten wird.

Es gibt gute Gründe dafür, dass Rechtsstaaten nicht die Opfer über Täter urteilen lassen, sondern unabhängige Richter. Also auch nicht Demokraten über Nichtdemokraten. Und es gibt gute Gründe dafür, gegen Lynchjustiz zu sein. Nichts anderes ist nämlich Gewalt gegen Arg-und Wehrlose, ganz egal, welche politische Meinung sie vertreten. Deshalb sind Aufrufe zur Gewalt immer falsch. Auch wenn sie sich gegen Faschisten richten.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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