40. Filmfestival Max Ophüls Preis: Immer nur Bewunderung

Junge, schlanke, weiße Frauen dominieren: Die meisten Beiträge des Festivals in Saarbrücken fokussieren auf private Beziehungsgeflechte.

Eine junge Frau steht vor einer Fototapete mit Palmen, seitwärts gedreht, nur mit einem halbgeöffneten Bademantel bekleidet, hinter ihr eine Leiter

Marie Rathscheck in Susanne Heinrichs Diskursfilm „Das melancholische Mädchen“ Foto: DFFB

Ich will geliebt werden, aber alles, was ich kriege, ist Bewunderung“, sagt das melancholische Mädchen, ohne mit der langen Wimper zu zucken. „Soll ich meine Haare abschneiden, damit ich ernst genommen werde?“, überlegt es. „Wartest du auf den Prinzen?“, wird es gefragt, und antwortet: „Ich warte auf das Ende des Kapitalismus.“

Dass Susanne Heinrichs Diskursfilm „Das melancholische Mädchen“ mit Marie Rathscheck in der Hauptrolle im 40. (Jubiläums-)Jahr des Festivals Max Ophüls Preis nicht nur mit dem 36.000 Euro schweren Hauptpreis, sondern schon vorher mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, konnte die feministische Filmemacherin zunächst kaum fassen: „Das ist witzig – ich bin eine evangelische Pfarrerstochter …“, erklärte sie am Samstag bei der Preisverleihung.

Und kündigte an, das Kino neu erfinden zu wollen – ein couragierter Plan. „Das melancholische Mädchen“, das kein klassisches Narrativ nutzt, sondern in kurzen Episoden Gedanken und Debatten über Feminismus und Gesellschaft zu mal vergnüglichen, mal auch nur selbstreferentiellen Aperçus hochstilisiert, ist – nicht zuletzt durch seine Form – unkonventionell und sprudelt vor Ideen.

Artifiziell-ironisch und nicht immer klischeefrei

Dass man an Werke wie „Der lange Sommer der Theorie“ oder „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ denken muss und sich durch den artifiziell-ironischen Ausdruck in Heinrichs Inszenierung auch an die Anarchie in Věra Chytilovás experimentellem Feminismus-Standardwerk „Tausendschönchen“ erinnert fühlt, steht dem nicht immer klischeefreien Film ebenfalls gut.

Doch was hätte der 1957 verstorbene Regisseur Max Ophüls, Namensgeber des Festivals, wohl zu einem solchen Film gesagt – wäre er baff vom Stuhl gefallen? Oder hätte er diese andere Form des Filmemachens verstanden? „Ich kann mir vorstellen, dass er das Ungewohnte, das Konträre als Künstler erst einmal angenommen hätte“, glaubt die 30-jährige Festivalleiterin Svenja Böttger, die seit 2016 das Festival in Saarbrücken verantwortet. „Er wäre sicher offen genug gewesen, es sich anzugucken.“

Diese Offenheit gegenüber neuem oder auch nur formal ungewöhnlichem Erzählen, das versucht das Festival seit 40 Jahren dem deutschsprachigen Nachwuchs (im Wettbewerb dürfen erste, zweite und dritte Filme laufen) zu ermöglichen. In diesem Jahrgang stand „Das melancholische Mädchen“ mit seinem strengen, dennoch experimentellen Korsett allerdings eher allein.

16 handfeste Erzähldramaturgien

Die meisten der 16 Wettbewerbsbeiträge setzen auf handfeste, unterschiedlich gut herausgearbeitete Erzähl-Dramaturgien – wobei Ziska Riemanns Spielfilm „Electric Girl“ über eine manische Synchronsprecherin, deren Psychose sie – in ihrer Wahrnehmung – in eine japanischen Superheldin verwandelt, mit einem Mix aus Spiel- und Anime-Zeichentrickszenen visuell absolut überzeugte.

Und Hannes Baumgärtners Drama „Der Läufer“ über einen suizidalen, kindheitstraumatisierten Sportler eine anrührende Tragik entwickelte. Gleich zwei Preise, „Beste Schauspielerin“ und „Gesellschaftlich relevanter Film“, gab es für Sudabeh Mortezais „Joy“ mit Joy Anwulika Alphonsus über eine Nigerianerin, die in Wien als Prostituierte arbeiten muss.

„Bester Schauspieler“ wurde Hauptdarsteller Simon Frühwirth aus Gregor Schmidingers radikal und bewegend erzähltem Drama „Nevrland“ über einen jungen schwulen Mann mit einer Angststörung, die Preise für die beste Regie und das beste Drehbuch räumte Francesco Rizzis und Daniela Gambaros verlorener Liebesfilm „Cronofobia“ ab.

Fokus auf das Private

Ansonsten sind die Themen des 40. MOP-Jahrgangs typisch für die Generation der Millennials – wenn man glaubt, was ihr gemeinhin nachgesagt wird: dass ihr Fokus auf privaten Beziehungsgeflechten liegt, weil fast sämtliche anderen Strukturen um sie herum viel zu sehr wackelten. „Die FilmemacherInnen erzählen in diesem Jahr Zweierbeziehungen, Vater und Sohn, Paare“, bestätigt auch Svenja Böttger.

Beispielhaft hierfür mag Katharina Ludwigs leer ausgegangene, bestechend gespielte Pärchenurlaubsanalyse „This is where I meet you“ dienen, in der eine Möchtegern-Schauspielerin von der Realität kalt erwischt wird, dass ja doch nicht alle auf sie warten – eine klassische Millennial-Überraschung.

Breit gefächerter Dokfilm

Der Wettbewerb im Dokumentarfilmbereich war indes breiter gefächert: Aus Werken über Theater, Fernsehformate, Politik und Europas Blick auf Afrika hat die Jury eine Dokumentation überzeugt, die sich mit dem Menschsein auseinandersetzt. Im Gewinnerfilm „Hi, A.I.“ begleitete Regisseurin Isa Willinger humanoide Androiden und die „Verhältnisse“, in die sie sich begeben – zu einer japanischen Familie etwa oder zu einem bulligen, pferdeliebenden US-Amerikaner, der seiner vollbusigen Roboterflamme hingebungsvoll die blonden Haare frisiert.

Steht der deutschsprachige Nachwuchsfilm also auf festen Füßen? Das wird (und darf) er vermutlich nie. Finanzierungsschwierigkeiten gab und gibt es aus unterschiedlichsten Gründen immer, die beispielhaften neuen, schnellen und dennoch vielschichtigen Erzählstrukturen, die vor allem in horizontalen Serien erkundet werden, beeinflussen das Kino und setzen es unter Druck.

Und dass der weitaus größte Teil der ProtagonistInnen in den ausgewählten Lang- und Kurzfilmen aus jungen, schlanken, weißen Frauen besteht, war nicht nur Schauspieler und Kurzfilmjurymitglied Jerry Hoffmann aufgefallen, der am Samstag auf der Bühne freundlich (und zu Recht) auf die latent fehlende Diversität hinwies. Vielleicht braucht es aber auch einfach eine Weile, sich die üblichen Bilder aus dem Kopf zu schlagen. Erlernte Strukturen sitzen schließlich tief.

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