Der Sprung in der Schüssel

René Pollesch bietet wieder alles auf, was er draufhat: In „Black Maria“ geht es um Repräsentation, um Bild und Bewegung – und um das Gegenteil davon

Die „Black Maria“ ist ein auf die Bühne gebautes Haus aus schwarzer Teerpappe. Auf dem Bild: Katrin Wichmann, Franz Beil, Benjamin Lillie, Marion Rommel, Astrid Meyerfeldt Foto: Arno Declair

Von René Hamann

Irgendwie gut, mal wieder mit Deleuze zu kommen. Die Poststrukturalisten unter uns erinnern sich: Gilles Deleuze, französischer Philosoph, entwickelte mit seinem Dauerschreibpartner, dem Psychoanalytiker Felix Guáttari, in den siebziger Jahren die Theorie des Rhizoms, ein Versuch, aus der Niederlage von 1968 zu lernen und neue Fluchtlinien und Wunschmaschinen zu zeichnen, um dem Kapitalismus mindestens auszuweichen. Irgendwann, vermutlich rund um die digitale Revolution und die Jahrtausendwende, sind diese Ideen verschütt gegangen. Stattdessen wurde linke Identitätspolitik stark und ging einher mit großen Migrationsbewegungen.

René Pollesch nimmt diesen verlorenen Faden in seinem neuen Stück „Black Maria“, das Donnerstagabend in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Premiere feierte, wieder auf. „Repräsentation versucht immer, die Grenzen zu ziehen“, lässt er seine Schauspielenden auf der Bühne sagen. Und gegen die Repräsentation hilft die Strategie des weißen Manns, nämlich die, unsichtbar zu werden. „Man müsste so unsichtbar sein wie die weißen Typen.“

Wem jetzt schon der Kopf raucht, der oder die sei einerseits gewarnt vor der neuen durchdrehenden Diskursmaschine, die Pollesch hier anwirft. Den anderen sei gesagt: Es gibt kleine Längen und einige unnötige Wiederholungsschleifen, aber ansonsten war und ist das ein höchst vergnüglicher Theaterabend. Pollesch bietet in „Black Maria“ alles auf, was er draufhat: Wortspiele, Albernheiten, Selbstironie, Verdrehtheit. Schauspieler am Rande des Textwahnsinns. Video, gute Musik, eine Bühne, die was bietet, und die fast legendären Rauchrunden, in denen endlose Textmengen abgelabert werden. Nach dem etwas müden Einstieg ins neue Haus mit „Cry Baby“ im vergangenen Herbst, einem Stück, das versucht, ironisch mit dem bürgerlichen Theater und dem neoliberalen Leistungsgedanken zu brechen, und das sich hauptsächlich an der überbordenden Präsenz von Sophie Rois festhalten kann, ist „Black Maria“ wieder Pollesch at its best.

Die „Black Maria“ bezeichnet dabei das auf die Bühne gebaute Haus aus schwarzer Teerpappe, das als solches drehbar ist und den Nachbau des allerersten Filmstudios der Geschichte darstellt. Es geht also um Film, um Filmgeschichte, und also auch um Repräsentation, um Bild und Bewegung, um Film als Speichermedium und die gesamte Theorie dahinter (Deleuze hat, nebenbei bemerkt, zwei Bände zu diesem Thema, also Kino, Bild und Bewegung, geschrieben). Und um das Gegenteil des Ganzen – um das Flüchtige, das Flüchtende, sich Versteckende, das Verschwindende.

Womit wir gleich wieder bei der Identitätspolitik und den Migrationsbewegungen sind. Und ganz am Rande und doch zentral geht es, wie so oft bei Pollesch, auch um die Liebe und das Theater.

Wobei es nicht um das Drama geht, sondern um den Knick, den Sprung in der Schüssel, den Knacks. Alles vorher Geschehene kann man vergessen: „Man will ja immer geliebt werden, aber dann stellt man fest, dass die anderen um einen herum gar nicht lieben können!“, sagt Katrin Wichmann auf der Bühne, nur um anzufügen: „Und man selbst ja auch nicht!“

Durchdrehende Diskursmaschine und Textwahnsinn

Natürlich geht es bei den verschraubten Textmassen nicht ohne aktiv mitarbeitende Souffleuse (etwas mürrisch: Marion Rommel). Obwohl man lange dachte, dass das Ensemble des DT das schon irgendwie meistern würde – es tut gut, Wichmann und die anderen dabei zuzugucken, wie sie den Stoff auch schauspielerisch ernst nehmen und sich Typen und Typologien für ihre Rollen überlegen.

Man kann es auch so sagen: Der Wechsel von der Volksbühne zeigt Vorteile – es ist eine andere Tradition, an der man sich abarbeiten kann (nämlich eben das bürgerliche Repräsentationstheater, allerdings Max Reinhardt’scher Prägung). Und die Zeiten des gewollten ­Underactings à la Volksbühne scheinen endgültig passé. So brilliert Franz Beil als gestikulierender, begriffsstutziger Hilfspolizist im schwarzweißen Kostüm. Astrid Meyerfeldt gibt charmant den Cowboy, Benjamin Lillie und Jeremy Mockridge wirken, als ob sie kein Wässerchen trüben könnten, und die Wichmann ist sowieso immer groß, freut sich hier aber sichtlich daran, endlich einmal was anderes als sonst machen zu dürfen.

Es ist fast, als ob es Repräsentationsgrößen wie Rois oder Martin Wuttke gar nicht mehr braucht, um Polleschs Diskurs­kaskaden anschaulich zu machen. Das schaffen andere auch. Vorausgesetzt, das Material ist griffig genug.

Weitere Vorstellungen: 9. 2., 21 Uhr,10. 2. 19.30 Uhr, 15. 2. 20 Uhr, 16. 2. 19 Uhr, 23. 2. 20 Uhr, 24. 2. 19.30 Uhr