Times, they are a-changing

Was ist nur los mit den Briten? Eine Korrespondentin berichtet über ihre Wut und den Frust über den Brexit

Kate Connolly: „Exit Brexit“. Übers. v. K. Riesselmann. Carl Hanser Verlag, München 2019, 304 S., 19 Euro

Von Anke Lübbert

Die berührendste Szene steht am Ende des ersten Drittels: Zwei deutsch-britische Freunde von Connolly rezitieren kurz nach dem Brexit-Referendum bei der Taufe einer befreundeten Familie das Gedicht „No Man Is an Island“ – auf Britisch und Deutsch. „Kein Mensch ist eine Insel, in sich ganz; in jeder ist ein Teil des Kontinents, ein Teil des Festlands. Würde auch nur ein Klümpchen Erde vom Meer geholt, so wäre Europa schon weniger. Gerade so als wäre eine Landzunge fort, oder der Hof deines Freundes, oder dein eigener.“

Das Buch von Kate Connolly, der Guardian-Korrespondentin in Berlin, lebt von solchen persönlichen Erzählungen. Sie lässt die Leser teilhaben an der eigenen Wut und dem Frust über die politische Entwicklung in Großbritannien. Sie beschreibt Szenen, in denen sie mit ihren Eltern diskutiert, die zum Teil für „Leave“, also für den Brexit, gestimmt haben, erklärt, wie sich das Land aus ihrer Sicht seither gewandelt hat, wie der Brexit einen Keil zwischen Familien und Freunde treibt.

Lesenswert ist das Buch aber vor allem als Erklärstück zum Brexit: Großbritanniens langes Fremdeln mit dem europäischen Projekt, der nicht verwundene Verlust der Weltmachtrolle, das erste Referendum 1975, die Angewohnheit britischer Politiker, innenpolitische Fehlentwicklungen auf die EU zu schieben. Auch auf die Monate vor dem Brexit wirft Connolly einen Blick: die Rolle von Cameron, Johnson und May, die Verantwortung der Medien, der schmutzige Wahlkampf.

Dass Kate Connolly nach dem Brexit die zweite, deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, ist der Aufhänger des Buches. Sie, die seit Jahren in Deutschland lebt, einen deutschen Mann hat, ist sicher nicht die unwahrscheinlichste Person, um den Antrag auszufüllen. Und auch wenn sie bildhaft erzählt, wie sie seitenweise Dokumente ausfüllt und schließlich bei der Einbürgerungsfeier bemüht ist, die hohen Töne der Nationalhymne zu treffen: Für sie ist die Entscheidung für die deutsche Nationalität keine gegen die britische. Sondern eher ein Bekenntnis zu der „Überzeugung, dass eine moderne Nationalität notwendigerweise fließend, offen und vielschichtig ist“. Die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft ist für Conolly eine Möglichkeit, weiter EU-Bürgerin bleiben zu können. Ein Votum für Europa. Und gegen den Brexit.

Die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft. Ein Votum für Europa. Und gegen den Brexit

Es gibt auch Augenblicke beim Lesen, die Verwunderung erzeugen, etwa, wenn Deutschland aus Sicht einer Britin plötzlich als das tolerantere, offenherzigere, weltoffnere Land erscheint – the times, they are a-changing. Dabei betrachtet Connolly nicht nur die Entwicklung in Großbritannien, sondern auch die in Deutschland mit Sorge und erzählt, wie sie nach ihrer ersten Bundestagswahl hoffte, dass in ihrer neuen Heimat „keine Zeiten anbrechen würden, vor denen ich Angst haben müsste“.

Leider lässt Connolly ihre zeitgeschichtlichen Betrachtungen Anfang 2018 enden. Für die tagesaktuellen Fragen, was aus Großbritannien, der EU und dem Brexit wird, bleiben also in den nächsten Wochen nur weiter die Nachrichten. Um die Geschichte dahinter jedoch besser verstehen zu können, ist ihr Buch lohnend.