Aufbegehren sinnlos

Surrealität und Symbolismus: Mascha Pörzgen inszeniert Puccinis blutige Oper „Tosca“ in Osnabrück als Mahnung gegen Gewissenlosigkeit und Staatswillkür

Gibt die Tosca kokett-naiv: Sopranistin Lina Liu Foto: Jörg Landsberg

Von Harff-Peter Schönherr

Es gibt ja Leute, die denken bei „Tosca“ erst mal an den falschen Klassiker: Den fast 100 Jahre alten Duft für „die Frau ab 50“, Kopfnote Bergamotte und Zitrone, tropfenförmiger Flakon mit Goldschrift. Das ist gar nicht so verkehrt: Das Parfum „Tosca“ entstand als Verbeugung vor Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper. Und wer deren Premiere im Theater Osnabrück am Samstagabend verfolgt hat, weiß: „Tosca“ ist offenbar auch die Oper für die Frau ab 50 – plus Begleitung natürlich, ähnlichen Alters: Sitzreihe um Sitzreihe arriviertes Bürgertum.

Was es zu sehen bekam, war bildgewaltig. Frank Fellmann, Bühnenbild und Kostüme, bietet Surrealität auf, Düsternis und symbolistische Abstraktion, zitiert Filmmotive, flutet Videos ein, bedient sich bei den Requisiten betont auch der Jetztzeit. Das macht es Mascha Pörzgens wohltuend unhistorisierender, konsequent auf Archetypik zielender Regie leicht, eine unheilvolle, alptraumhafte Endzeit heraufzubeschwören, gegen deren religiöse Verblendung und terroristischen Reaktionär-Staat jedes Aufbegehren sinnlos ist. Aus Puccinis 17. Juni 1800 wird so ein Tag, der vielleicht erst gestern war, vielleicht erst morgen ist.

Der Abend hat viele starke Szenen. Die stärkste ist das Ende des 1. Akts: In einer ruinenhaft verfallenen Kirche, in der wir kurz zuvor alle Protagonisten kennengelernt haben, die kokett-naive Sängerin Tosca (Lina Liu, Sopran), den schwärmerischen Maler Cavaradossi (Ricardo Tamura, Tenor) und den sadistischen, sich in Allmachtsphantasien sulenden Geheimpolizeichef Scarpia (Rhys Jenkins, Bariton), werden in einer siegestrunkenen Massenszene Sturmgewehre gesegnet. Der Staat, auf Gewalt gebaut, bedient sich des Klerus, der ihn willfährig stützt. Wer rebelliert, wird gejagt, ge­fol­tert, getötet – auch Tosca und Cavaradossi, die beiden Liebenden.

Leider leidet Scarpias Dämonie an Jenkins’nur mäßigen schauspielerischen Mitteln. Gesanglich ist er stark, aber Füße und Hände stillzuhalten gelingt ihm nicht – hier unnötiges Umhergelaufe, dort unausgesetztes Hantieren mit Weingläsern. Und wenn er sich anschickt, Tosca zu vergewaltigen, die Jacke auszieht, die Fliege löst, nun ja, dann schaut man besser nicht hin. Einzig sein Ende wirkt überzeugend: Erstochen verendet er ohne größeres Augenrollen und Aufgebäume zu Füßen einer Pferdeskulptur. Die trägt übrigens, Fellmanns Surrealismen sei Dank, eine Lampe auf dem Kopf.

Der Kirchendiener hat Schluckauf

Überhaupt: Herrlich, diese Ausstattungsdetails! Revolutionär Angelotti, aus dem Gefängnis ausgebrochen, trägt Guantánamo-Bay-Orange und schleppt ausgehungert eine Kühlbox ins Versteck. Die Polizei trägt Ostblock-Schirmmützen und ein monströses Emblem, das an alles sehende Augen und Superhelden wie Judge Dredd erinnert.

Herrlich auch diese oft nur sekundenkurzen Verfremdungen, die den Ernst der Figuren aufbrechen. Cavaradossi, als Verhafteter auf dem Weg in den Tod, kitzelt Scarpias Pferdeskulptur in den Nüstern. Der Kirchendiener hat einen Schluckauf. Leibwachen stehen so absurd weit von ihrem Schutzobjekt entfernt, als wünschten sie ihm den Tod. Tosca, von Eifersucht zerfressen, setzt die Sonnenbrille auf, während ihr Geliebter die Schönheit ihrer Augen besingt.

Apropos Gesang: Liu und Tamura sind großartig. Schade nur, dass es nach mancher Arie Szenenapplaus gab – immer ein echter Stimmungskiller. Schade auch das stupid rhythmische Parteitagsgeklatsche am Ende – Begeisterung auf Autopilot ist immer eine Qual.

Und noch eine Qual war zu erdulden, wie schon so oft: Kein Darsteller scheint zu wissen, wie man mit einer modernen Feuerwaffe umgeht. Gerade in „Tosca“, wo Waffen allgegenwärtig sind, fällt das auf. Wachen, die ihre Finger permanent um den Abzug krümmen? Bei jeder Armee der Welt gäbe das auf der Firing Range einen Riesenanschiss. Fechten lernt jeder am Theater, aber sowas nicht? Komisch.

Eine Freude dagegen der Hintersinn der Architektur. Körperteile ragen aus Wänden und Böden, schiefe Ebenen zeigen, was der Mensch dem Menschen antut. Ein blutiger Abend: Angelotti begeht Selbstmord, Scarpia wird von Tosca erstochen, Cavaradossi wird von Scarpias Schergen erschossen, Tosca stürzt sich eine Mauer hinab. Ein Ende mit Schrecken? Sicher. Aber auch die Verheißung von Hoffnung. Denn ist sie nicht unsterblich, die Liebe, die Seele?

Mi, 30. 1., 19.30 Uhr, Theater Osnabrück; weitere Aufführungen: 8./19./22. 2., 1./16./28. 3.