Das Abc der Integration

Ein Projekt zur Alphabetisierung richtet sich besonders an zugewanderte Christen

Von Marina Mai

Ein typischer Analphabet ist der 60-jährige Mann nicht. Er hat die Schule in Syrien sogar mit dem Abitur abgeschlossen und über 30 Jahre lang als Mechaniker gearbeitet. Doch der ältere Herr, der vor drei Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam, kennt keine lateinischen Schriftzeichen. Das hat ihm den Alltag in Deutschland erschwert. Darum besucht er jetzt einen Alphabetisierungskurs in seiner Kirchengemeinde, der Rum-Orthodoxen Gemeinde von Antiochien in der Auguststraße in Mitte. Das ist eine Gemeinde arabischsprachiger orthodoxer Christen. Finanziert wird das Projekt KASA, das Alphabetisierungskurse für Zuwanderer aus orientalischen Staaten anbietet, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

7,5 Millionen Erwachsene in Deutschland gelten als funktionelle Analphabeten. Rund 3 Millionen von ihnen sind Zuwanderer. Syrische Zuwanderer haben zwar oft einen hohen Bildungsstand. Doch bei vielen Älteren und insbesondere auch bei Christen sei das dann doch nicht immer der Fall, sagt Britta Marschke vom Projekt KASA. „Christen sind in islamisch geprägten Staaten oft verfolgte Minderheiten und konnten darum nicht in gleicher Weise wie andere an Bildung teilhaben.“

Treffpunkt Kirchengemeinde

Zwischen 12 und 20 Prozent der Geflüchteten, die in den letzten Jahren nach Deutschland kamen, sind Christen. Aus dem Irak kamen vor allem Katholiken, aus dem Iran und Afghanistan evangelische Christen und Mitglieder von Freikirchen. Aus Syrien, Eritrea, dem Libanon, palästinensischen Gebieten und der Türkei sind viele orthodoxe Christen hierher gekommen, die sich oft in eigenen Kirchengemeinden treffen. Diese Menschen gehen in der Zuwanderungsdebatte oft unter.

Fünf Alphabetisierungskurse führt das Projekt KASA in orientalischen orthodoxen Kirchen in Berlin durch. Der Bundestagsabgeordnete Swen Schulz (SPD) unterstützt das Projekt: „Es hilft, das Problem des funktionellen Analphabetismus zu lösen.“ Dass die Kurse in den Kirchengemeinden, die für viele der Geflüchteten eine wichtige Bedeutung haben, stattfinden, findet Britta Marschke wichtig: „Das baut Scheu ab und fördert das Lernen.“ Laut Marschke gibt es wenige Teilnehmer, die dem Klischee der bildungsfernen Flüchtlinge entsprechen. „Wir haben Teilnehmer, die in Deutschland aufgewachsen sind, aber an der deutschen Schule scheiterten. Und andere, die vor Jahren aus dem Libanon kamen und da schon zu alt waren, um eine Schule besuchen zu dürfen.“

Oder aber es kommen Frauen wie diese Syrerin: Die Endfünfzigern spricht perfekt Deutsch, lebt seit 28 Jahren in Berlin und war seither Hausfrau. Seit die Kinder aus dem Haus sind, ist niemand mehr da, der sie zum Arzt und zum Einkaufen begleiten kann. „Dass ich seit vier Monaten lesen und schreiben lerne, hilft mir, das allein zu schaffen“, sagt sie, und dass sie vielleicht einmal deutsche Staatsbürgerin werden will. Zu dem obligatorischen Sprachtest reichen mündliche Sprachkenntnisse nicht aus.