Debatte um Schwarzfahrer: Abfahrt in den Knast

Ob auch Bagatelldelikte ins Gefängnis führen müssen, ist umstritten. Der Senat will Bundesratsinitiative zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens.

Gittertür in JVA Plötzensee

In der Freiheit doch arg eingeschränkt, in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee Foto: Sebastian Wells

Wer bei Rot über die Ampel fährt, riskiert ein Bußgeld und Fahrverbot. Wer die öffentlichen Beförderungsunternehmen wiederholt um 2,80 Euro für ein Ticket prellt, dem droht im schlimmsten Fall Gefängnis. Ob das verhältnismäßig ist, darüber diskutieren JustizexpertInnen seit Jahren. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) will nun mit einer Bundesratsinitiative zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens die Debatte befeuern. Inzwischen hat er auch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und Innensenator Andreas Geisel (beide SPD) auf seiner Seite. „Wenn alles gut läuft“, heißt es aus Behrendts Verwaltung, „dann haben wir in den nächsten Wochen einen Beschluss.“

Wer beim Schwarzfahren erwischt wird, muss – das ist allgemein bekannt – 60 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt an BVG oder S-Bahn berappen. Wer sich dreimal binnen 2 Jahren ohne Fahrschein erwischen lässt, den meldet die BVG an die Staatsanwaltschaft – egal ob die 60 Euro bezahlt wurden oder nicht. Denn Schwarzfahren, juristisch korrekt Beförderungserschleichung, ist seit 1935 eine Straftat.

4.200 solcher Strafanträge stellte die BVG im Jahr 2018, 2017 waren es über 10.000. Die Staatsanwaltschaft erhebt nach Prüfung Anklage. Ein Urteil wird häufig ohne Gerichtsverfahren gefällt, in der Regel handelt es sich um eine Geldstrafe. Dass trotzdem ein Teil der Verurteilten im Gefängnis landet, liegt an Paragraf 43 des Strafgesetzbuchs (StGB). Aus einer uneinbringlichen Geldstrafe wird eine Ersatzfreiheitsstrafe – eine Rechtsnorm aus dem Jahr 1871. Heute werden immerhin Ratenzahlung und Ableistung in gemeinnütziger Arbeit auf Antrag gestattet.

Mit Kanonen auf Spatzen

„Ein starker Rechtsstaat zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er mit Kanonen auf Spatzen schießt“, sagt dazu Justizsenator Behrendt. Er fordert, dass Schwarzfahren künftig nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird. Auch Generalstaatsanwältin Margarete Koppers spricht sich für eine grundlegende Reform aus – weil die Strafverfolgung die Justiz zu sehr belaste.

Für politische Gegner der Entkriminalisierung – vor allem zu finden in den Reihen der CDU, aber auch der SPD – käme dies einer Kapitulation vorm Massendelikt Schwarzfahren gleich, bei der Umsetzung von Recht dürfe außerdem nicht mit Kosten argumentiert werden.

Da erst ein von allen Bundesländern im Bundesrat beschlossener Gesetzentwurf dem Bundestag vorgelegt werden kann, ist die Zukunft von Behrendts Initiative ungewiss. „Wir werden sehen, welche anderen Bundesländer mitmachen“, sagt der Sprecher des Justizsenators und verweist auf den Erfolg bei der Ehe für alle und die aktuelle Reform des Paragrafen 219a StGB.

Auch Generalstaatsanwältin Koppers spricht sich für eine Reform aus

Diskussion im Bundestag

Im Bundestag wird bereits heftig über das Schwarzfahren diskutiert. Linke und Grüne hatten im vergangenen Jahr Entwürfe zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens vorgelegt – einig sind sie sich aber nicht. Die Bundesgrünen wollen wie der Berliner Justizsenator keinen Straftatbestand mehr, sondern eine Ordnungswidrigkeit. Die Linke will beides nicht. Das erhöhte Entgelt der Beförderungsunternehmen reiche als Strafe aus.

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) positionierte sich gegenüber der taz vorsichtig: „Schwarzfahren schadet den ehrlichen Fahrgästen und der Allgemeinheit. Es muss allerdings sorgfältig abgewogen werden, welche Mittel wirksam und angemessen sind, um dagegen vorzugehen.“

Bei den Berliner Verkehrsbetrieben setzt man jedenfalls auf die abschreckende Wirkung der Haftstrafen. Nicht zuletzt deshalb habe sich die Schwarzfahrerquote inzwischen deutlich reduziert, so ein Sprecher. Den häufigen Vorwurf, dass man vor allem die Ärmsten der Armen in den Knast schicke, will er nicht gelten lassen. Obdachlose würden bei der BVG nicht als Schwarzfahrer verfolgt.

Und doch sitzen in Berliner Gefängnissen jährlich Tausende Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab – viele von ihnen drogenabhängig, obdachlos, psychisch krank. So berichten es etwa Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Plötzensee. Rund ein Drittel sitzt wegen Beförderungserschleichung. Aber auch bei den Übrigen hat ein Gericht befunden, dass eine Geldstrafe und eben keine Haftstrafe schuldangemessen sei. Weil sie die nicht bezahlt haben – häufig aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse –, werden sie nun mit dem bestraft, was im Recht als Ultima Ratio gilt.

Als wäre das nicht widersprüchlich genug, gibt es neben den Häftlingen, für die eine Zelle eine harte Strafe ist, auch noch die, für die das Gefängnis ein besserer Ort ist als alles, was sie sonst in Berlin haben …

Dieser Text ist Teil eines Schwerpunkts zum Thema Ersatzfreiheitsstrafen, den Sie im Berlinteil der Printausgabe der aktuellen taz am Wochenende lesen können.

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