Jan-Paul Koopmann
Popmusik und Eigensinn
: Softcore wie vom Rummel

Foto: privat

Es war einmal, da war der Rap die gegenwärtigste Musik, die man sich nur vorstellen konnte. Damals ging es mit Wut oder Witz um Inhalte, die sich zwei Konzerte später längst erledigt hatten – und die Reime entstanden holprig, spontan und unter Druck, weil die erste Zeile nun schon Mikro war und es ja zügig irgendwie weitergehen musste. Das ist heute nicht mehr so. Das Freestyle-Repertoire steht auf Abruf parat im Hirn – und die Sache selbst ist längst ein abgeschlossenes Kapitel in den Chroniken der Jugendkultur.

Ein bisschen hat’s dem Rap, dem deutschen jedenfalls, den Witz geraubt. Und eben auch nicht. Weil sich in den Nischen der eingeschliffenen Sache immer mal wieder wirklich Überraschendes tut: so mit den Genrekonventionen als sicherem Rückzugsort, dann aber mal hierhin und wieder dorthin ausbrechend. Und weil sich Rap traditionsgemäß nach Städten sortiert, lässt sich ausnahmsweise mal ganz ungezwungen sagen: Bremen ist ein guter Ort für solche Nischen, was zum Beispiel (und vor allem) die Menschen um Erotik Toy Record beweisen. Rap ist hier die stabile Basis, was rauskommt, ist aber doch viel mehr.

Einer davon ist der Ur- und Jetzt-wieder-Bremer Tightill, der gerade sein erstes eigenes Album vorgelegt hat. Und das ist gleich ein doppeltes Debüt, weil’s dabei noch die erste Platte der Golden Press ist: der produzierenden Abteilung des Golden Shops im Viertel. „Infinity“ heißt diese Platte und sie ist, kurz gesagt, wunderschön.

Ein bisschen weird, sehr kitschverliebt und unter dem nasal-vergrübeltem Sprechgesang auch musikalisch übersatt gespickt mit Zitaten benachbarter Genres. Der atmosphärische Grundton hallt aus den 80ern rüber und hat mit seinen Deprisynthies ein bisschen was von der Neuen Deutschen Welle – als die sich noch getraut hat, ohne Holzhammer­ironie mal ein bisschen blöde zu sein. „Ich kann nicht mehr / Ich kann nicht mehr / Mein Herz zerbricht / Mein Herz zerbricht.“ Das ist bei Tightill nicht nur ironischer Schmalz, sondern Herzschmerz, der mal ballert wie auf dem Rummelplatz und sich dann wieder verspielt irgendwo hinfrickelt, wo es sogar noch etwas schöner ist.

Dass sich der Mainstreamrap für so was zu schade sei, stimmt nicht. Es gab ja vor rund zehn Jahren diese „80’s Flashback“-Platte, auf der Samy Deluxe, Sido und Afrob mit Synthies herumspielen. Vielleicht war das ein bisschen die massentaugliche Verflachung von dem, was Tightill zwischen den Zeilen macht. Nur eben schon vorher. Und da wären wir wieder bei dieser verdrehten Gegenwart, in der dann doch nicht alles schlecht ist.

Tightill: „Infinity“, Golden Press. Tape, Vinyl und digital