„Schüler*innen sollen widersprechen“

Wenn die Welt nachhaltiger werden soll, muss sich auch der Schulunterricht ändern, sagt Nadine Kaufmann vom „Konzeptwerk neue Ökonomie“. Bildung müsse mehr hinterfragen

Jeden Freitag wieder: Schüler*innen demonstrieren für den Klimaschutz Foto: Christian Mang

Interview Maike Brülls

taz: Frau Kaufmann, Sie organisieren mit anderen die Konferenz „Bildung Macht Zukunft“. Bei dieser geht es um die Frage, welche Rolle Bildung in einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft spielen kann. Spielt sie denn im Moment keine Rolle?

Nadine Kaufmann: Bildung spielt bei dieser Frage gerade eine zwiespältige Rolle: Einerseits soll sie für eine sozialere und ökologischere Gesellschaft sorgen, auf der anderen Seite steht sie genau der aber auch oft im Weg. Das liegt daran, dass Bildung derzeit beim Thema Nachhaltigkeit meist nicht an die Wurzel der Krisen geht, sondern vor allem die Symptome behandelt. Unserer Meinung nach müsste Bildung im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation viel mehr die Denkweisen hinterfragen, die aktuell als ‚normal‘ gelten, die aber eng mit sozialen und ökologischen Problemen verbunden sind.

Inwiefern geht der Unterricht an Schulen derzeit nicht tief genug?

Man kann nicht sagen, dass das, was im Lehrplan steht, komplett problematisch ist. Ein Lehrplan gibt ja immer vor, dass Themen auf unterschiedliche Weise behandelt werden sollen. Am Beispiel Wirtschaft lässt sich gut erklären, was wir problematisch finden. In der Ausbildung von Lehrer*innen und in vielen Schulbüchern ist ein neoklassisches Verständnis von Wirtschaft zentral. Das beinhaltet, dass wir „natürlicherweise“ alles über den freien Markt handeln, dass Wirtschaftswachstum alternativlos ist und dass Menschen danach streben, ihren Nutzen zu maximieren. Diese Annahmen werden allerdings kaum als eine Perspektive unter vielen dargestellt, sondern als „die Wahrheit“. Und es wird nicht diskutiert, ob das wirkliche der beste Weg ist, um ein gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Wir finden, diese Fragen sind durchaus politisch, werden aber selten auch so behandelt.

Gerade zum Thema Wirtschaft stellen die Unternehmen sogar selbst Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, die genau diese Sicht vertreten. Wie finden Sie das?

Wenn Unternehmen oder Wirtschaftsverbände Materialien für den Unterricht herausgeben, finden wir es problematisch, wenn ihre Sichtweise darin als neutral dargestellt wird. Bei Materialien zum Thema ökologische Nachhaltigkeit wird das oft besonders deutlich. Die Lösung wird meist in effizienteren Geräten, erneuerbaren Energien und nachhaltigem Konsum gesehen. Der Glaube an technologische Lösungen allein wird dabei ebenso wenig in Frage gestellt wie ein grundsätzliches Verständnis von Natur als etwas, was wir einfach benutzen können. Ein kritischer Umgang damit ist aus unserer Sicht nötig, indem Lehrer*innen mit den Schüler*innen besprechen, woher das Material kommt, woran man das merkt und welche Sichtweisen darin nicht dargestellt werden.

Foto: privat

Nadine Kaufmann

ist Bildungs­referentin beim Konzeptwerk Neue Ökonomie, welches unter anderem Konzepte für kritische Bildungsarbeit, die zu einer klimagerechteren Welt führen sollen, erarbeitet.

Was für Alternativen gibt es also?

„Transformative Bildung“ ist gerade ein Schlagwort, das in diesem Zusammenhang oft benutzt wird. Es beschreibt aber bisher kein klares Konzept. Mit der Konferenz „Bildung Macht Zukunft“ wollen wir den Begriff schärfen. Für uns ist der Kern transformativer Bildung, gewohnte Denkmuster überhaupt erst einmal sichtbar zu machen, sie gemeinsam zu hinterfragen und Alternativen zu suchen. Das betrifft die Frage wie eine solidarische und ökologische Zukunft aussehen kann aber auch den Weg dahin. Es geht also auch darum, vieles zu verlernen bzw. sich davon zu emanzipieren. Damit bekommt Bildung im Kontext von Nachhaltigkeit auch einen politischen Charakter. Gleichzeitig ist es natürlich nicht so leicht, mal eben vieles von dem, was wir unser Leben lang als „normal“ gelernt haben, über den Haufen zu werfen. Eine spannende Frage für uns ist, wie man Menschen darin bestärken kann, sich überhaupt auf solche Reflexionsprozesse einzulassen.

Wie würde das konkret im Unterricht aussehen?

Ein paar Eckpunkte, wie das aussehen könnte: Es geht viel weniger darum, Wissen zu vermitteln, sondern eher: irritieren, Fragen stellen und Schü­ler*innen dabei unterstützen, diese weiterzuverfolgen. Man ginge auch viel mehr raus und schaut sich gesellschaftliche Auseinandersetzungen und bestehende Alternativen an, denen eine andere Denkweise zugrunde liegt, zum Beispiel Projekte solidarischer Ökonomie, erlebt die mit. Wenn das Thema Energie auf dem Plan steht, würde man sich beispielsweise zwar auch ein Kohlekraftwerk anschauen, träfe aber auch Menschen, die im Widerstand gegen Braunkohle aktiv sind. Man spricht darüber, was diese Erfahrungen bei den Schüler*innen auslösen. Neben rationalen Argumenten spielen also auch Emotionen eine größere Rolle. Es ginge also viel darum, sich in einer ganz schön komplexen Welt zurechtzufinden. Und zwar nicht, indem man einfach auf das Wissen von „Expert*innen“ vertraut, sondern einen kritischen Umgang damit lernt, wie wir selbst mit den gesellschaftlichen Strukturen um uns herum verbunden sind.

Sie kritisieren, dass Bildung im Moment einseitig geprägt ist. Stattdessen wollen Sie einen Unterricht gestalten, der öko­lo­gische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im Blick hat. Nehmen Sie so nicht auch Einfluss auf die Lernenden?

Das Konzeptwerk Neue Ökonomie, die Universität Kassel und das Forum Kritische Politische Bildung veranstalten vom 21. bis 24. Februar die Konferenz „Bildung Macht Zukunft“ in Kassel. Diskutiert wird, was kritische und politische Bildung für ein gutes Zusammenleben leisten kann und soll.

Klar, wir sind uns bewusst, dass wir immer auf eine Art beeinflussen, wenn wir Lernräume gestalten. Viele Akteur*innen wollen, dass die Welt anders aussieht, gleichzeitig aber nicht, dass Menschen instrumentalisiert werden. Aus der Per­spektive kritisch-emanzipatorischer Bildung ist das Ziel, ein Hinterfragen zu unterstützen. Also wenig gesehene Perspektiven überhaupt sichtbar zu machen, eine Vielseitigkeit herzustellen. Die Schüler*innen müssen dann aber die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, was sie damit machen wollen. Es ist also erstrebenswert, dass Schüler*innen mir als Lehrer*in widersprechen.

Inwiefern kann die Konferenz „Bildung Macht Zukunft“ einen Teil dazu beitragen, dass sich etwas ändert?

Die Idee der Konferenz ist, Menschen zusammenzubringen, die ausprobieren oder erforschen, wie eine Bildung aussehen kann, welche die Vorstellung von Zukunft öffnet – anstatt einen vorgegebenen Weg zu verfolgen. Da kommen Lehrer*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen zusammen. Es wird Impulsvorträge geben, in denen machtkritische Per­spektiven auf Bildung aufgemacht werden. Darin fragen wir, wer eigentlich bestimmt, was und wie wir lernen. Es gibt Workshops, um sich über die eigenen Erfahrungen und Herausforderungen in der Bildungsarbeit auszutauschen und um Formate und Methoden kennenzulernen, wie eine emanzipatorische Bildung aussehen kann. Im Organisationskreis der Konferenz sind wir verschiedenste Menschen aus den Bereichen Bildung für nachhaltige Entwicklung und kritischer politischer Bildung. Mit der Konferenz wollen wir diese beiden Bereiche enger miteinander verbinden.