Die Wahrheit: In kranken Hemden

Im Wartezimmer des Bergdoktors wird virtuelles Crystal Meth gereicht. Hilft ja sonst nichts gegen den teuflischsten aller Monate.

Der Februar ist das Arschloch unter den Monaten. Er saugt zu Beginn den letzten Neujahrsschwung weg, kippt danach Viren über uns aus und verweigert, obwohl er der kürzeste unter seinesgleichen ist, lange den Frühling. Februare oder Februierende, wie die Teufels-Monate im Plural neuerdings geschlechtergerecht genannt werden müssen, verbringe ich stets zur Hälfte krank in der Sofaecke.

Jahrelang habe ich mein Leiden dort mit großen Gaben von Biathlon-Übertragungen verschlimmert, aber die Droge wirkt nicht mehr. Mein neues Crystal Meth heißt Bergdoktor. Selig seufzend folge ich der Kameradrohne bei ihrem Flug über das sommerliche Gebirge, in dem der Oldtimer des Bergdoktors auf schmalen Straßen zufrieden schnurrend zu den Patienten auf die Einödhöfe fährt. Immer springt das Auto an, nie kracht die Drohne gegen den Gletscher. Ein Paradies!

Meine Ärztin zeigt leider weniger Fürsorge. Sie besucht mich niemals in meiner Virenhöhle am Dorfrand, sondern pflanzt mich lieber anderthalb Stunden in ein Wartezimmer, weil sie Menschenexperimente schätzt und mich in ihre Amokläufer-Langzeitstudie aufgenommen hat. Beim Bergdoktor sitzen vor dem Behandlungsraum freundlich grunzende Lederhosenträger, die man nicht versteht. Bei meiner Ärztin hocken dagegen Schreckschrauben, die laut rufen: „Ach was, Klimawandel! Hat sich doch schon immer was geändert, nicht?“

In meiner Wartezimmerrunde ist man sich dennoch darüber einig, dass früher alles besser war, insbesondere habe man niemals warten müssen. Und Ärzte, ach: „Da sagt der doch zu mir, wieso haben Sie ein Hemd an, das geht ihn doch gar nichts an. Da habe ich gesagt, das ist doch wohl meine Sache, ob ich ein Hemd anhabe. Wieso haben Sie ein Hemd an, tz.“

Die Vitamin-D-Debatte

Ich versuche wegzuhören, aber ich kann einfach nicht. Das Hemd macht sich immer breiter. Es folgen noch die Orthopäden-Rücken-Arie, der Fehldiagnosenmonolog, die Vitamin-D-Debatte, dann wieder das Hemd und schließlich der … – o, jetzt bin ich dran.

Der Bergdoktor nimmt Blut ab und erkennt so in letzter Minute seltene Krankheiten des Gehirns. Dann verordnet er interessante Medikamente. Außerdem hilft er den Patienten freundlich durch Lebenskrisen, die alle furchtbarer sind als meine Probleme, die sich recht bonsaimäßig ausnehmen wollen neben Persönlichkeitsspaltungen, Firmenpleiten und familiärem Streit im Endstadium. Das schafft er alles in den neunzig Minuten, die ich schon brauche, bis ich überhaupt bis zum medizinischen Fachpersonal vorgelassen werde.

Meine Ärztin sieht mich abschätzig an, schwenkt ihr Stethoskop in meine Richtung und bittet mich, das Hemd hochzuschieben. „Das Hemd, das Hemd!“, kreische ich entsetzt und falle in Ohnmacht. Am Ende verordnet sie mir dann statt teurer Medizin bloß Geduld und Schonung, ehe sie mich zurück in die böse Welt entlässt. Sofa, ich komme.

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Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)

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kari

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