Kein Naturschutz: EU mahnt Deutschland ab

Deutschland verschleppt seit Jahren die Anmeldung von 787 Naturschutzgebieten. Hauptverantwortlich sind die Bundesländer. Jetzt treibt die EU ein Vertragsverletzungsverfahren voran

Landschaft zwischen Düsseldorf und Monheim am Rhein: Naturschutzgebiete müssen nicht zwingend naturbelassen, sondern können auch Nutzflächen sein Foto: Christophe Gateau/dpa

Von Bernhard Pötter

Beim Naturschutz verliert die EU-Kommission die Geduld mit Deutschland. Weil die Bundesrepublik seit Jahren Hunderte von geschützten Natur­regionen nicht nach EU-Recht ausweist, hat die Kommission nun ein Vertragsverletzungsverfahren vorangetrieben und den nächsten bösen Brief nach Berlin geschickt. „Deutschland hat es versäumt, innerhalb der vorgeschriebenen Fristen 787 von 4.606 Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete auszuweisen“, erklärte die Kommission Ende vergangener Woche. Verzögert Deutschland weiter die Umsetzung von EU-Recht, könnten am Ende Strafzahlungen in Millionenhöhe stehen.

Bei der Auseinandersetzung geht es nicht nur darum, wo welche Schilder auf Schutzgebiete hinweisen oder welche Wiese wie oft gemäht wird. Im Zweifel kann die Anmeldung als sogenanntes „Natura 2000“-Gebiet schwerwiegende politische Folgen haben: Der umkämpfte Hambacher Forst im rheinischen Braunkohlerevier etwa wurde im Oktober 2018 nur deshalb in letzter Sekunde vor der Rodung gerettet, weil das zuständige Gericht erst eine Klage des Umweltverbands BUND entscheiden wollte. Der BUND ist der Meinung, die NRW-Landesregierung habe es versäumt, den „Hambi“ als Schutzgebiet auszuweisen – also genau das, was die EU-Kommission nun für Hunderte von anderen Gebieten moniert.

Seit 1992 gilt in der EU die „Fauna-Flora-Habitat“-Richtlinie, mit der besondere Lebensräume geschützt werden sollen, um die biologische Vielfalt zu ­sichern. Es geht nicht um Wildnis, sondern um Kulturlandschaften wie Wiesen, Äcker oder Wälder. Auf einer europaweiten Liste werden solche Gebiete gemeldet. Die Mitgliedsstaaten müssen dann innerhalb von sechs Jahren Maßnahmen „zur Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der geschützten Arten und Lebensräume“ nachweisen, sehen die Regeln der EU vor.

Diese Frist ist für die angemahnten 787 Gebiete seit 2009/10 abgelaufen. Schon 2015 mahnte Brüssel zur Eile; Deutschland versprach Besserung bis Ende 2018, „was bereits eine erhebliche Verzögerung gegenüber der rechtlich verbindlichen Frist darstellt“, wie eine Sprecherin der Kommission gegenüber der taz bemerkt. Aber daraus wurde nicht viel. Ausgerechnet die Deutschen, die gern auf den angeblichen Schlendrian anderer EU-Staaten verweisen, stehen nun mit Italien und Bulgarien wegen Nichtstun am Pranger. „Die Kommission erwartet daher, dass die noch ausstehenden Unterschutzstellungen ohne weitere Verzögerung erfolgen werden“, erklärte die Sprecherin.

Die Deutschen, die auf den Schlendrian anderer EU-Staaten verweisen, stehen nun selbst am Pranger

Das wird nicht einfach. Denn obwohl der Bund die Prügel aus Brüssel einsteckt, liegt die Verantwortung bei den Bundesländern. Sie halten die Vorgaben nicht ein, weil ihnen Personal und politischer Wille fehlen, monieren Kritiker aus den Umweltverbänden. So müssten die Pläne zur Bewirtschaftung transparenter sein, damit Bauern und Eigentümer besser wissen, was sie tun sollen, erklärt das Bundesumweltministerium. Auch sei oft nicht klar, welche Arten in diesen Gebieten wie geschützt werden sollten oder wie die Flächen überhaupt juristisch gesichert seien.

„Das ist seit Jahren eine riesige Baustelle“, sagt Magnus Wessel, Naturschutzexperte beim BUND. Thüringen und Baden-Württemberg strengten sich inzwischen an, Niedersachsen aber habe den Prozess lange verzögert. „Es geht um Regeln, wie viel in diesen Kulturlandschaften gedüngt oder Holz geschlagen werden darf, wie oft gemäht wird oder wie viel Wasser in Feuchtgebieten steht“, so Wessel. Die Umweltverbände BUND und Nabu wollen im Frühjahr eigene Analysen zu den „Natura 2000“-Gebieten vorlegen. Europaweit fordern sie bei der Reform der EU-Agrarpolitik, die jährlich etwa 60 Mil­liarden Euro verteilt, einen eigenen Topf für diese Aufgaben. „Insgesamt wären dafür 12 Milliarden Euro nötig“, so Wessel.

Sollte Deutschland wegen der fehlenden Ausweisung der Gebiete tatsächlich irgendwann wegen der Verletzung von europäischem Recht verurteilt werden, könnte das teuer werden. Nach Angaben aus dem Bundesumweltministerium wären „ein Pauschalbetrag von mindestens 11,83 Millionen Euro sowie ein Zwangsgeld von bis zu 861.000 Euro für jeden weiteren Tag bis zur Beendigung des Verstoßes möglich“. Dabei sei „zu beachten, dass diejenige staatliche Ebene für entsprechende finanzielle Sanktionen haftet, in deren Verantwortungsbereich die Pflichtverletzung fällt.“ Mit anderen Worten: Wenn die Bundesländer ihre Hausaufgaben nicht machen, sollen sie auch dafür zahlen.