Mordprozess gegen Pfleger: Zeug*innen beeinflusst?

Niels Högel soll in zwei Kliniken hundert Patient*innen ermordet haben. Im Prozess kritisiert der Richter einen Klinikleiter. Dieser habe sich zu intensiv um Mitarbeiter*innen gekümmert, die vor Gericht aussagen

Ein Zeuge sagte aus, ein Klinikanwalt habe ihn „auf Linie“ bringen sollen

Aus Oldenburg Marthe Ruddat

Im Prozess gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel hat am Mittwoch der Vorstandsvorsitzende des Klinikum Oldenburg ausgesagt. Dirk Tenzer kam erst Anfang 2013 an die Oldenburger Klinik und konnte zu Högels Zeit dort nichts sagen. Seine Aussage war dennoch von großer Bedeutung, weil in den vergangenen Prozesswochen immer wieder schwere Vorwürfe gegen die Klinik laut wurden.

Högel wird einhundertfacher Mord vorgeworfen. Die Taten soll er zwischen 2000 und 2005 an Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst verübt haben. Obwohl er 2005 auf frischer Tat ertappt wurde, begannen erst 2015 umfangreiche Ermittlungen. Die Ermittler*innen gehen heute davon aus, dass in beiden Krankenhäusern bereits lange ein Verdacht gegen Högel gehegt aber verschwiegen wurde. Mehrere Mitarbeiter*innen aus Delmenhorst werden sich deshalb wegen Totschlags durch Unterlassen vor Gericht verantworten müssen.

Vor dem Oldenburger Landgericht schilderten Ermittler*innen den Eindruck, dass die früheren Kolleg*innen Högels aus Oldenburg in ihren Vernehmungen nicht die Wahrheit sagten oder Informationen zurückgehalten hätten. Alle Oldenburger Mitarbeiter*innen seien mit einem von der Klinik bezahlten Rechtsanwalt erschienen.

Klinikchef Tenzer räumte in seiner Vernehmung ein, dass er allen Mitarbeiter*innen angeboten habe, einen sogenannten Zeugenbeistand, also einen Anwalt oder eine Anwältin, zu vermitteln und auch zu bezahlen. Dies habe er aus Fürsorge getan. Viele Mitarbeiter*innen seien durch die Ermittlungen der Polizei verängstigt gewesen. Es sei nicht sein Ziel gewesen, die Zeug*innen zu beeinflussen.

Mehrere Zeug*innen nahmen das offenbar anders wahr. Zuletzt sagte eine ehemalige Krankenpflegerin aus und erzählte von einer Kollegin, der ein Anwalt vor der Aussage erklärt habe, „was man sagen darf und was nicht“. Das sei ihr komisch aufgestoßen. Ein weiterer Zeuge sagte vergangene Woche aus, ein Klinikanwalt habe ihn „auf Linie“ bringen sollen.

Richter Sebastian Bührmann zeigte wenig Verständnis für das Vorgehen der Klinik. Dass ein Unternehmen seinen Mitarbeiter*innen Anwälte bezahle, habe er in 20 Jahren noch nicht erlebt. Das lege den Verdacht der Einflussnahme nahe, sagte er. Auch dass Tenzer offenbar für die Ermittlungen bedeutende Dokumente erst mit deutlicher Verzögerung an die Staatsanwaltschaft übergab, hinterfragte Bührmann mehrfach.

Seitdem 2014 der Verdacht aufkam, Högel könnte auch in Oldenburg getötet haben, führte Tenzer eine eigene interne Aufarbeitung durch. Dafür sprach er auch mit Mitarbeiter*innen, die mit Högel arbeiteten. Die Protokolle übergab er jedoch erst 2018 den Ermittlungsbehörden, nach eigenen Angaben, weil er seinen Mitarbeiter*innen Vertraulichkeit zugesichert hatte und er nicht früher danach gefragt worden sei. Er sei außerdem davon ausgegangen, dass die Polizei selber Vernehmungen durchführt. Jetzt wisse er, dass die Mitarbeiter*innen gegenüber der Polizei zum Teil andere Angaben machten und würde heute vermutlich anders handeln, sagte Tenzer.