„Leere Tonnen sind ein gutes Zeichen“

Pauline holt Essen aus dem Supermarktmüll. Sie fordert ein Umdenken zur Rechtslage

Pauline

26, studiert in Leipzig Kulturwissenschaften und containert seit vier Jahren. Auch sie wurde schon mal erwischt, zum Glück aber von einem netten Mitarbeiter. Ihren vollen Namen möchte sie lieber nicht nennen – weil sie die rechtliche Situation nicht einschätzen kann.

Interview Jana Lapper

taz: Pauline, warum gehst du containern?

Pauline: Als ich das erste Mal vor vier Jahren containern ging, war ich schockiert von den Mengen, die Supermärkte nach Ladenschluss wegwerfen. Es war damals Februar und im Müllraum stand ein ganzer Einkaufswagen voller Weihnachtsschokolade – in bester Qualität von Lindt und Milka. Daraufhin hat mich ein gewisser Aktionismus gepackt. Mit der Zeit und einer gewissen Routine habe ich es aber auch aus pragmatischen Gründen getan. Dann habe ich mich manchmal geärgert, wenn ich in den Mülltonnen nichts gefunden habe – wobei das ja eigentlich ein gutes Zeichen ist. Schließlich wird weniger weggeworfen.

Wie bist du zum Containern gekommen?

Mein Mitbewohner hat mir oft davon erzählt, irgendwann hat er mich mitgenommen. Alleine gehe ich bis heute nicht, mit Begleitung fühle ich mich sicherer. Wenn ich einen Müllraum oder Innenhof betrete, will ich möglichst schnell wieder raus aus der Situation, schließlich kann es rechtliche Konsequenzen geben.

Und welche?

Die rechtliche Situation ist schwierig. Deshalb will ich hier anonym bleiben. Meines Erachtens kommt es sehr darauf an, wer mich ertappt: Ist es die Filialleiterin oder ein Mitarbeiter, der vielleicht in meinem Alter ist und es selbst verurteilt, wie viele Lebensmittel täglich weggeworfen werden? Als mich einmal ein Mitarbeiter erwischt hat, hat er so getan, als habe er mich nicht gesehen. Letztendlich ist es für einen Supermarktbetreiber auch schlechtes Marketing, wenn er jemanden wegen Containerns anzeigt – der Trend geht ja hin zu mehr Nachhaltigkeit und weniger Lebensmittelverschwendung.

Die beiden nun verurteilten Studentinnen haben ein Schloss mit einem Vierkantschlüssel geknackt. Ist das in Ordnung?

So was habe ich nie gemacht. In Wien etwa, wo ich zuvor gewohnt habe, gibt es einen Universalschlüssel für alle Müllräume der Supermarktketten. Der kursiert in manchen Kreisen und kann vervielfältigt werden – was die Sache sehr viel einfacher macht.

Wie oft gehst du containern?

In meiner Hochphase war ich mehrmals die Woche unterwegs. Wir sind kaum Einkaufen gegangen und hatten unsere sicheren Orte, wo wir garantiert etwas gefunden haben: massenweise Joghurt, Schinken, Obst und Gemüse. Als mein Mitbewohner erwischt wurde, haben sie jedoch die Schlösser ausgetauscht. Aktuell gehe ich aus Zeitgründen weniger containern. Gerade in den Großstädten wie hier in Leipzig haben die Geschäfte immer länger geöffnet. Danach räumen die Mitarbeitenden auf, sodass ich erst gegen elf oder zwölf Uhr loslegen könnte.

Suchst du auch bei Restaurants oder Biomärkten?

Bei Restaurants nicht und bei Biomärkten wird wenig weggeworfen. Viele arbeiten mit Foodsharing-Initiativen oder der Tafel zusammen.

Was machst du mit dem Essen?

Teilweise habe ich gezielt mehrere Geschäfte abgegrast und mit den Lebensmitteln dann damit auf Veranstaltungen für einen Soli-Preis gekocht. Außerdem wohne ich in einer großen WG, in der wir das Essen teilen. Die Sachen müssen dann schnell verkocht werden, schließlich sind die Produkte nicht mehr allzu lange haltbar. Der Rest wird im Freundeskreis verteilt.

Wie muss die Politik reagieren?

Es ist an der Zeit, mal wieder über das Mindesthaltbarkeitsdatum zu sprechen. Ich arbeite selbst in einem Biomarkt und merke, dass viele Leute gar nicht wissen, was dieses Datum eigentlich bedeutet. Milchprodukte etwa sind meist sehr viel länger haltbar. Solche Produkte darf aber auch die Tafel nicht mehr annehmen. Eine zwingende Abgabe der Supermärkte an die Tafeln, wie das in Frankreich Pflicht ist, fände ich daher gut.