5G-Ausbau in Berlin bedroht: Outgesourcte Überflüssigkeiten

Die drohende Infinera-Schließung gefährdet neben Arbeitsplätzen die Datensicherheit von Bundesregierung und Bundeswehr sowie den 5G-Ausbau.

Viele Menschen stehen vor einem vielstöckigen Gebäude und protestieren mit Fahnen der Gewerkschaft IG Metall

Anfang Februar demonstrierten Beschäftigte vor der bedrohten Technik-Firma in Spandau Foto: dpa

BERLIN taz | Am Mittwochabend sind die Verhandlungen zum zweiten Mal gescheitert. Ein Entgegenkommen ist nicht in Sicht. Seit Anfang Februar ringen IG Metall und der Betriebsrat um die Rettung von 400 Arbeitsplätzen, die durch die geplante Schließung des Infinera-Werks in Spandau bedroht sind.

Der US-Konzern Infinera, Hersteller von optischen Übertragungssystemen für Glasfasernetze, kaufte vor vier Monaten die Coriant GmbH, deren technologische Fertigungsstätte in Berlin Spandau ist. Im Januar kündigte Infinera an, das Werk im September 2019 schließen und die Produktion nach Thailand auszulagern.

Die in Berlin produzierte DWDM-Technologie wandelt Daten aus Text, Video und Audio in Licht um, welches via Glasfaserkabel über weite Strecken gejagt und anschließend zurückverwandelt wird. Intelligente Systeme, ebenfalls in Berlin produziert, erkennen zudem, wenn ein Kabel ausfällt, und leiten die Lichtquelle automatisch um, ohne dass die NutzerInnen von Mailingdiensten und Videotelefonie es merken.

Für die Belegschaft des einstigen Siemens-Werks ist das Zittern um ihre Existenz keine Neuheit mehr. Nokia-Siemens Networks, später nur noch Nokia Networks, Coriant GmbH – mit jedem neuen Firmenlabel, das der Standort bekam, drohte Stellenabbau.

Für „künftiges Wachstum optimiert“

Schon als 2013 der Investor Marlin Equity einstieg, fühlte der seit 1980 im Werk tätige Nachrichtengeräte-Mechaniker Ronald Braun „das Damoklesschwert“ über sich und seinen KollegInnen schweben. Im grau angestrichenen Besucherraum beschreiben er und drei weitere Mitarbeiter die Achterbahnfahrt der vergangenen Jahre. „Ich dachte: Heuschrecken, um Gottes willen, die kaufen, um uns aufzuspalten“, sagt Braun. Dann übernahm 2018 Infinera, und zunächst stellte sich Erleichterung ein. Weder bei den Produkten noch den Kunden hätte es Überlappungen gegeben. „Und dann macht dieses Aktienunternehmen das, was ich von der Heuschrecke erwartet habe“, so Braun.

Im Rahmen einer „globalen Restrukturierung“, teilte eine Infinera-Sprecherin der taz mit, werden Ressourcen für „künftiges Wachstum“ optimiert. Dies betreffe auch „Überflüssigkeiten“ nach dem Kauf der Coriant GmbH. Mit „Überflüssigkeiten“ fühlen sich die Berliner MitarbeiterInnen angesprochen.

Birgit Dietze, IG Metall

„Die in 50 Jahren erarbeiteten 1.598 Patente gehen verloren“

„Infinera möchte keine festen Kosten mehr in Form einer eigenen Fabrik. Sie geben die Produktion lieber an einen externen Dienstleister“, erklärt Industriekaufmann Christian Styr, der eigentlich sein 40-jähriges Dienstjubiläum zu feiern hätte. In seinen Augen ging es dem US-Konzern bei der Übernahme vor allem um die „Patente, Lizenzen, Rechte und Kundenkontakte.“ Betriebsrat Eddie Kruppa fügt hinzu, Infinera habe vorher nur Kunden in Nordamerika beliefert. Durch die Übernahme von Coriant, „einem weltweit agierenden Big Player,“ könne sich das amerikanische Unternehmen den Weltmarkt erschließen.

Ihre Berufsaussichten schätzen die in Spandau jahrzehntelang beschäftigten Fachkräfte schlecht ein. Irgendeine Arbeitsstelle werde es schon geben, jedoch eher als „ Wareneinräumer im Supermarkt“ statt Produzent für zukunftsträchtige Technologie.

Das Know-how in Gefahr

Verloren ginge für die Region auch Know-how. Die aktuell in Berlin produzierten intelligenten Systeme sind wichtiger Bestandteil, um die blitzschnelle Übertragungsgeschwindigkeit des geplanten 5G-Mobilfunkausbaus zu gewährleisten.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) kündigte im Januar an, Berlin zur Modellstadt des neuen Mobilfunkstandards werden zu lassen. Über das 5G-Netz könnten Maschinen schneller kommunizieren, wodurch autonomes Fahren und andere Formen Künstlicher Intelligenz für die Industrie 4.0 möglich werden.

Die Sprecherin der Senatswirtschaftsverwaltung für Wirtschaft Svenja Fritz berichtete der taz, Ramona Pop stehe in Kontakt mit der IG Metall und den Berliner Infinera-MitarbeiterInnen. Zudem befänden sich der Senat und die Wirtschaftsförderung Berlin Partner schon in „vertraulichen Gesprächen“ mit anderen „geeigneten Unternehmen“, wie Sprecher Lukas Breitenbach bestätigte. Es sei von „großem Interesse“, dass die Technologie weiterhin vor Ort produziert werde. Ob die 400 Arbeitsplätze der Fachkräfte und Auszubildenden dadurch erhalten bleiben, konnte der Senat nicht sagen.

Birgit Dietze von der IG Metall gibt zu bedenken, dass die Schließung des Spandauer Werks nicht mit der Außenwirtschaftsverordnung konform gehe, wichtige Schlüsseltechnologien vor Abwanderung zu schützen. „Die in 50 Jahren Werkgeschichte erarbeiteten 1.598 Patente gehen Berlin verloren“, so die Gewerkschafterin.

Datensicherheit von Bundesregierung und Bundeswehr bedroht

Neben dem Verlust des Know-hows und der Arbeitsplätze wirft die Schließung des Spandauer Werks Fragen der Datensicherheit auf. Denn die Bundesregierung und die Bundeswehr nutzen Technologie von Infinera. Das mache die Verlagerung der Fertigung nach Südostasien für Betriebsrat Kruppa zum „Politikum“. In Thailand könne die Fertigung der Geräte nicht mehr kontrolliert werden, die Garantie für Sicherheit der staatlichen und militärischen Kommunikation entfalle. „In Berlin haben wir die Möglichkeit, die Daten in einem hohen Standard zu verschlüsseln“, so ein weiterer Infinera-Mitarbeiter. Wirtschaftsminister Peter Altmaier kündigte letzte Woche seine Gesprächsbereitschaft an. Jedoch berichtete Senatssprecherin Fritz am Dienstag der taz, dass Infinera derzeit kein Interesse an Gesprächen mit der Politik habe.

Die Belegschaft machte Anfang Februar durch einen Autokorso und Protesten vor der US-Botschaft auf sich aufmerksam, nachdem die erste Verhandlungsrunde ergebnislos unterbrochen wurde. Infinera-Vertreter hätten ein „absolut freches Angebot“ vorgelegt, das den Leistungen der Berliner „nicht gerecht“ gewesen wäre.

Nach Abbruch der zweiten Verhandlungsrunde ist mit erneuten Protestaktionen der Spandauer zu rechnen. Eine im Januar gestartete Onlinepetition zählt schon rund 3.400 UnterstützerInnen. Die Spandauer halten nach wie vor daran fest, ihren amerikanischen Eigentümer zu überzeugen, die Strategie zu überdenken, sich „das Werk überhaupt mal anzuschauen“ und offenzuhalten. Alles wollen sie geben, um ihr „kleines gallisches Dorf“, so nennt es Mitarbeiter Styr, vor der Ausschlachtung zu schützen.

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