Kindesmissbrauch in der Kirche: Am Ende bleibt das Wort

Zum Ende der Antimissbrauchskonferenz im Vatikan kündigt Papst Franziskus Aufklärung an. Aber keine konkreten Maßnahmen.

Viele Geistliche in grüner Robe hören in der Kirche dem Papst zu.

Wird die viertägige Bußübung im Vatikan echte Veränderungen bringen? Foto: ap

ROM taz | Die Kirche räumt auf – in diesem Versprechen lässt sich die Rede zusammenfassen, mit der Papst Franziskus am Sonntag die Bilanz der dreitägigen Antimissbrauchskonferenz im Vatikan zog. Wann immer ein Kind Opfer eines Priesters werde, sei Satan selbst am Werk, wetterte der Papst, und er sagte für die Zukunft zu, jeder einzelne Fall werde rückhaltlos aufgeklärt, jedes einzelne Opfer könne auf den Beistand der Kirche zählen. Konkrete Maßnahmen kündigte Franziskus jedoch nicht an.

Er nannte Missbrauch ein gesamtgesellschaftliches ­Problem, das vor allem „Eltern, Verwandte, die Partner von Kinderbräuten, Trainer und Erzieher“ betreffe. In der Kirche wiege es jedoch noch schwerer. Bei deutschen Opfern und Experten löste die Rede Empörung aus.

Seit Donnerstag hatten Kirchenvertreter aus aller Welt im Vatikan das Thema aufgerollt, die Atmosphäre ließ vermuten, dass eine entscheidende Wende anstehe. An so gut wie jeder Straßenecke rund um den Petersplatz hat sich ein TV-Team aufgebaut, interviewt Prälaten oder ganz gewöhnliche Bürger. So ist es sonst nur, wenn gerade ein Papst gestorben ist und ein paar Tage danach im Konklave sein Nachfolger gewählt wird.

Weltkirche eben. Eine Weltkirche allerdings, die hier keineswegs eine ihrer Routineveranstaltungen abhält, sondern etwas ganz Neues, in 2.000 Jahren Geschichte des Katholizismus nie Dagewesenes ausprobiert: ein gigantisches „Mea culpa“. „Der Schutz der Minderjährigen in der Kirche“ war das offizielle Thema der viertägigen Veranstaltung, die Papst Franziskus vergangenen Donnerstag eröffnet hatte und am Sonntag endete. Vor allem aber ging es um die Schutzlosigkeit der Abertausende von Kindern und Heranwachsenden, die über Jahre hinweg, rund um den Erdball, in Heimen, in Seminaren, in Pfarreien, in katholischen Schulen von Priestern und Ordensleuten vergewaltigt wurden.

Es fehlte nicht an deutlichen Worten

Herunterspielen, verschweigen, vertuschen, im Zweifelsfall die Täter schützen – schlimmstenfalls wurden sie nur von einer Pfarrei in die nächste versetzt, wo sie ihr Missbrauchswerk fröhlich fortsetzen konnten –, die Opfer drangsalieren und zum Schweigen bringen: dies war die jahrzehntelang weltweit verfolgte Linie der Kirchenhierarchien bis in den Vatikan hinein gewesen. Doch jetzt versammelte Papst Franziskus 190 Kirchenvertreter zum großen Aufräumen, zum „Präsidentengipfel“, bei dem sich die Chefs der 124 nationalen Bischofskonferenzen, der Ostkirchen, der Mönchs- und Nonnenorden trafen, um sich endlich dem Thema zu widmen.

An deutlichen Worten fehlte es nicht in den letzten Tagen. Schon in seinem Einleitungsvortrag sagte Erzbischof Luis Tagle aus dem philippinischen Manila: „Unser Mangel an Verant­wortungsbewusstsein, bis hin zur Ablehnung und Vertuschung des Skandals, um die Täter und die Institution zu schützen, hat unser Volk verletzt“; während er diese Wort sprach, flossen dem Kardinal die ­Tränen.

Etwas ganz Neues: ein gigantisches „Mea culpa“

So ging es drei Tage lang weiter. Kardinal Blase Cupich aus Chicago befand, die Gläubigen fragten sich, ob die Kirche wirklich „ein Bewusstsein für das Problem“ entwickelt habe, er sprach von „Misstrauen und Wut“, die aufkämen, wenn „nicht die Kinder, sondern die Täter und die Institution geschützt“ würden. Und der indische Kardinal Oswald Gracias, Bischof von Mumbai, konstatierte: „Auf dem Weg haben wir versagt, wir müssen um Verzeihung bitten.“ Gracias kritisierte, dass in den Kirchen Asiens, Lateinamerikas oder Afrikas gern behauptet werde, dass die Missbrauchs­problematik nur die USA, Europa und Australien betreffe.

„Es war ein einsamer Kampf“

Gracias weiß nur zu gut, dass die Dinge anders liegen – aus seiner eigenen Diözese. In einer BBC-Dokumentation kam die Mutter eines Jungen aus Mumbai zu Wort, deren Sohn 2015 von der Messe heimkehrte und berichtete, er sei von dem Priester vergewaltigt worden. Sie suchte daraufhin das Gespräch mit dem Erzbischof, „er betete für uns“, hieß es dann aber ganz eilig. „Er sagte uns, er müsse nach Rom abreisen“, damit war für Gracias der Fall erst einmal erledigt; das Verlangen der Mutter nach medizinischem Beistand für ihren Sohn blieb unbeantwortet, und Anzeige gegen den der Vergewaltigung schuldigen Priester erstattete der Kardinal auch nicht.

„Es war ein einsamer Kampf“, sagt die Mutter, die sich in ihrer Gemeinde isoliert, ja geächtet fand und schließlich aus der Kirche austrat. Auch der um Worte der Zerknirschtheit und Tränen nicht verlegene Kardinal Tagle aus Manila muss sich Fragen gefallen lassen: Laut der US-Internetplattform „Bishop Accountability“ wurde auf den Philippinen in den vergangenen Jahren kein einziger Missbrauchsfall in der Kirche dokumentiert.

Vielleicht meinte Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising sowie Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in seinem Vortag vom Samstag über die nötige Transparenz ja auch Kollegen wie sie, als er festhielt: „Akten, die die furchtbaren Taten dokumentieren und Verantwortliche hätten nennen können, wurden vernichtet oder gar nicht erst erstellt.“ An den Verwaltungsstrukturen der Kirche kritisierte Marx, sie hätten „nicht dazu beigetragen, dass der Sendungsauftrag der Kirche erfüllt wird, sondern im Gegenteil, dass er verdunkelt, diskreditiert und verunmöglicht wird“.

Kundgebungen und Märsche rund um den Petersdom

Es sind Verwaltungsstrukturen wie die der argentinischen Kirche, die mit dem Fall von Julio César Grassi zu tun hatten. Einem Priester, der sich mit seiner Einrichtung „Felices los niños“ („Glücklich die Kinder“) um Straßenkinder kümmerte – um sie zu vergewaltigen. Grassi ist mittlerweile zu 15 Jahren verurteilt und wurde vor wenigen Tagen ins nationale Verzeichnis der Sexualstraftäter Argenti­niens aufgenommen.

Der Anwalt von Grassis Opfern allerdings berichtet von einem Treffen mit dem Erzbischof von Buenos Aires und Vorsitzenden der Argentinischen Bischofskonferenz im Jahr 2006, in dem der Kirchenobere sich „verschlossen, streng, misstrauisch“ zeigte. Dieser Bischof war Jorge Mario Bergoglio – der heutige Papst Franziskus.

Die anlässlich der Versammlung nach Rom gereisten Opfervertreter, darunter Peter Isely, Sprecher des internationalen Netzwerks „End Clergy Abuse“ aus den USA, und ­Matthias Katsch von der Opfervereinigung „Eckiger Tisch“ aus Deutschland, hatten während der Konferenz Tag für Tag mit einigen Dutzend Missbrauchsopfern kleine Kundgebungen abgehalten, an der Engelsburg, nur ein paar hundert Meter vom Petersdom entfernt. Sie haben Märsche organisiert, haben nach den täglichen Vatikan-Pressekonferenzen draußen vor der Tür den Medienvertretern ihre Sicht der Dinge dargelegt.

Keine operativen Anweisungen

Ganz einfach ist diese Sicht, sie heißt „Null Toleranz“. Die Kirche müsse sich endlich verpflichten, Priester, die vergewaltigt haben, ebenso wie Bischöfe, die ihre schützende Hand über die Täter halten, aus dem Klerus zu verjagen. Fast schien es, als sehe der Papst das genauso.

In seinem 21-Punkte-Plan, den er dem Treffen vorlegte, verlangte er, dass schuldige Priester und Bischöfe kein öffentliches Amt mehr ausüben dürfen. Allerdings erhielt dieser Plan ebenso wenig operative Weisungen wie die päpstliche Rede vom Sonntag. Und: Von einer Strafrückversetzung in den Laienstand war auch in dem 21-Punkte-Papier nichts zu lesen.

Man könnte es nun so sehen: Mit ihrer viertägigen Bußübung in Rom hat die Kirche die Büchse der Pandora endgültig geöffnet, ein Zurück in die Kultur des Schweigens und Abwiegelns gibt es nicht mehr. Matthias Katsch vom Eckigen Tisch hatte darum vor der Papstrede zunächst eine recht ausgewogene Bilanz des Gipfels gezogen. Dieser sei „schon jetzt ein Erfolg für die Bewegung der Opfer“. Es müsse sich aber noch zeigen, ob er auch für die „Kinder und Jugendlichen in aller Welt ein Erfolg wird, die von Missbrauch bedroht sind durch verbrecherische Priester und durch ein System, dass diese Täter bislang geschützt hat“.

Uninspiriertes Abspulen von Selbstverständlichkeiten

Umso wütender reagierte Katsch auf die Ansprache des Papstes. Die Rede sei „der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen oder wirkliche Veränderungen anzugehen“, twitterte Katsch am Sonntag.

Die Irin Marie Collins, selbst ein Missbrauchsopfer und einst Mitglied in der päpstlichen Kinderschutzkommission, twitterte zu Franziskus’ Rede: „Wir haben dieses Bekenntnis, Missbrauch zu bekämpfen, schon oft gehört. Wann und wie, das ist es, was wir hören müssen – im Detail.“

Auch Thomas Schüller, Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Universität Münster, bezeichnete die Rede von Papst Franziskus als „Fiasko“. „Anstatt konsequent aus der Opferperspektive die Verantwortung der Kirche zu benennen“, sei die Rede „routiniertes und uninspiriertes Abspulen von Selbstverständlichkeiten“ gewesen, sagte Schüller der dpa. Franziskus habe das Problem der Kirche relativiert, indem er Missbrauch als gesamtgesellschaftliches Phänomen dargestellt habe.

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