Fernreisen mit den Ohren

Ostwärts und improvisatorisch unterwegs: Saadet Türköz mit Song Dreaming im Exploratorium

Von Thomas Mauch

Wo ist Zuhause, Mama“ fragte Johnny Cash in einem seiner raren (und selbstverständlich tollen) Lieder, die er auch auf Deutsch gesungen hat. Und man möchte, wenn man erst den Weg dahin gefunden hat, gleich weiter fragen: Welche Lieder singt man denn dort?

Saadet Türköz, 1961 geboren, jedenfalls lebt bereits seit den frühen achtziger Jahren in der Schweiz. Aufgewachsen ist die Sängerin in Istanbul, als Tochter kasachischer Migranten. Zu lesen ist, dass sie als Erwachsene zur heimischen Kultur ihrer Eltern fand.

Am Donnerstagabend war Türköz mit dem Ensemble Song Dreaming im Kreuzberger Exploratorium zu hören – zuerst mit einem leise anhebenden, kehligen Murmeln, das man als alte, archaische Beschwörungsformeln genauso empfinden konnte wie auch als ein erstes Durchmessen der stimmtechnischen Möglichkeiten für Sängerinnen im Feld der freien Improvisationsmusik, wo Saadet Türköz seit geraumer Zeit doch mindestens Quartier genommen hat.

Als sich aber aus diesem Murmeln immer weiter ausschweifend, fast wuchernd, melismatische Melodiebögen entwickelten, ging es doch deutlich ostwärts hin zu traditionellen Musiken, dass einem beim Hören der Reisebus im Kopf gleich auf staubige Pisten entlang alter Seidenstraßen schickte. Zwischendurch die Minarette an der Strecke, das Rufen der Muezzine – so was war zu hören im Exploratorium, aber eben nicht als ein getreulicher Folk­lorebericht (was auch immer im Fall der Folklore „getreulich“ heißen mag), sondern durchwirkt mit einem experimentellen Ansatz, in den sich auch Scat und Rap mischeln konnten bei Saadet Türköz. Das Zischeln und Krächzen, das die anderen Improvisationsmusiksängerinnen (Sänger gibt es in diesem Feld weit weniger) alle im Programm haben, sowieso. Und immer wieder ein ganz eigentümlich meckerndes Vibrato, bei dem man sich so fragen konnte, ob das nun ein typisches Merkmal vom kasachischen Singen ist oder doch mehr ein Idiolekt von Türköz, ein ganz eigener Stil der Sängerin also.

Das Klappern und rhythmische Klöppeln der beiden Schweizer Begleiter von Türköz aber – Martin Schütz kühl zupackend am Cello, Lionel Friedli behutsam filigran am Schlagzeug – konnte man bestens in seinen fahrenden Reisebus integrieren: Das ließ sich doch so hören, wie ein Reisebus eben klappert und pocht, wenn er auf holpriger Piste erst mal auf Touren gekommen ist.

Es war eine schöne, Horizonte öffnende Ausfahrt. Von irgendwelchen Bezugnahmen auf schweizerische Musiktraditionen allerdings war nichts zu hören. Nur in den Ansagen von Saadet Türköz konnte man doch eine kleine schwyzerdütsche Färbung vernehmen.