Guten Morgen, Ihr Schönen!: „Wir haben gelacht und geweint“

Eine Österreicherin und eine Ostdeutsche trauten sich an eine Art Fortsetzung des legendären Buchs „Guten Morgen, du Schöne“. Am Frauentag lesen sie daraus.

Monika Stenzel (links) und Ulrike Jackwerth Foto: M. Jackwerth

taz: Frau Stenzel, Frau Jackwerth, erstmals ist der Frauentag Feiertag in Berlin. Hat das eine Bedeutung für Sie?

Monika Stenzel: Ich bin aus dem Osten, ich bin mit dem Frauentag groß geworden. Und seit einigen Jahren treffen wir uns regelmäßig hier bei mir in der Küche, so zehn bis zwölf Frauen. Dann gibt es selbst gebastelte Blumen ans Revers und Eierlikör aus dem Schokobecher. Wie früher.

Ulrike Jackwerth: Ich bin ja aus Österreich, da gibt es keinen Frauentag. Ich habe das erst hier und durch Moni kennengelernt. Als ich meiner 87-jährigen Mutter neulich erzählt habe, dass wir am Frauentag aus unserem Buch lesen, hat sie gesagt: „So ein Blödsinn, es gibt doch nur den Muttertag.“

Ulrike Jackwerth

geboren 1958 in Wiener Neustadt/Österreich, arbeitet als Schauspielerin, Regisseurin und Schauspieldozentin.

Monika Stenzel

geboren 1949 in Halle (Saale), Schauspielerin und Autorin. Bei den Lesungen liest sie auch auf sächsisch und berlinerisch.

Ihr Buch heißt „He, du Glückliche“ – schon der Titel ist eine Reminiszenz an das legendäre Werk von Maxie Wander „Guten Morgen, du Schöne“. Kannten Sie das Buch schon damals in der DDR?

Stenzel: Ich hab’ das sogar im Theater gespielt. An eine Vorstellung erinnere ich mich besonders lebhaft: Das war tatsächlich am Frauentag, im Theatercafé in Halle. Da hatten sie die Frauen vom Lande in Bussen gebracht und die haben das genossen! Ich habe die Rosie gespielt und die sagt so Sätze wie „Ich liebe Frauen mit großen Brüsten“. Und plötzlich war da die Hölle los. Da saßen ja die Muttis vom Lande mit den großen Brüsten und die haben gekichert und gelacht. Und dann sind wir oben vor Lachen zusammengebrochen und der ganze Saal auch. Das war ein wunderbarer Glücksmoment!

Und Sie, Frau Jackwerth, sind Sie damals auch schon mit den Maxie-Wander-Texten in Berührung gekommen?

Jackwerth: Wir haben an der Schauspielschule in Salzburg mit einigen der Texte gearbeitet. Ich unterrichte inzwischen selbst und weiß, dass eine Kollegin heute noch die Texte aus dem Buch in der Schauspielausbildung verwendet. Die geben einfach was her.

Bei Maxie Wander erzählen die Frauen voller Rohheit und Zartheit, in größter Offenheit und Schonungslosigkeit ihre eigene Geschichte in einem Land der Enge. Ich wundere mich immer wieder, wie das so durch die Zensur gehen konnte …

Guten Morgen, du Schöne

1977 erschien das bedeutendste Werk der Österreicherin Maxie Wander, die seit 1958 in Kleinmachnow lebte. „Guten Morgen, du Schöne. Protokolle nach Tonband“ gilt als Meilenstein der Protokollliteratur. Das Vorwort schrieb Christa Wolf. Den großen Erfolg ihres Buchs in der DDR und der Bundesrepublik erlebte Maxie Wander nicht. Sie starb 1977 im Alter von 44 Jahren. „Guten Morgen, du Schöne“ wurde in der DDR auch verfilmt und im Theater gespielt.

He, du Glückliche

Die Schauspielerinnen Monika Stenzel und Ulrike Jackwerth befragten 40 Jahre nach Maxie Wanders Buch ostdeutsche Großmütter, Töchter und Enkelinnen, wie es ihnen ergangen ist, wie sie heute ihr Leben meistern (erschienen im Mitteldeutschen Verlag, 2018). Am heutigen Frauentag lesen die Autorinnen im Heimathafen Neukölln, 19.30 Uhr. Es gibt Eierlikör. (mah)

Stenzel: Ja, das ist eine Geschichte! Das war zu der Zeit, als Wolf Biermann ausgebürgert wurde. Das ganze Land war in Aufruhr, das wissen wir ja, es wurden Petitionen verfasst und so weiter. Da trennte sich die Spreu vom Weizen, das muss man schon sagen. Und in dieser Zeit oder kurz danach, ist das Buch fertig geworden und es wurde bei der Stasi einfach durchgewunken. Die haben keine einzige Änderung gemacht. Vielleicht auch, um das Volk irgendwie zu beruhigen. Vielleicht war es auch einfach ein Fehler. Alle haben sich gewundert.

Viele dieser Frauen bei Maxie Wander wirken sehr desillusioniert. Ich denke da an Ruth, die sagt: „Seelisch bin ich reif für den Strich.“ Die Frauen in Ihrem Buch dagegen…

Jackwerth: Wir haben das Buch nicht ohne Grund „He, du Glückliche“ genannt. Keine unserer Frauen sieht sich als Verliererin, alle schauen irgendwie mit Stolz auf ihre Ost-Vergangenheit. Natürlich gibt es auch die anderen Frauen, die unglücklich sind mit ihrer Situation nach der Wende. Wir haben uns bemüht, auch so eine zu bekommen, das hat aber nicht geklappt.

Stenzel: In der DDR wusstest du als Frau, so und so wird dein Leben ungefähr sein, da kommt auch nicht viel mehr. Du warst eingeschlossen, die Partei denkt für dich, der Staat lenkt usw. Kein Wunder, dass die Frauen desillusioniert waren. Das ist heute ganz anders: Viele unserer Frauen haben einfach noch was vor, da ist noch ganz viel offen.

Gehen wir noch mal einen Schritt zurück, wie ist es Ihnen beiden seit der Zeit von „Guten Morgen, du Schöne“ ergangen?

Stenzel: Fang du an!

Jackwerth: Ich war Anfang der achtziger Jahre auf der Suche nach einem Engagement und dann bin ich in Berlin kleben geblieben. Das hatte immer etwas Absurdes, in dieser eingeschlossenen Stadt. Ich habe dann hier Theater gespielt und angefangen, Regie zu führen.

Stenzel: Du musst auch noch sagen, dass du mich kennengelernt hast! Ich bin 1984 ausgereist, mit meiner Familie. Wir hatten einfach die Nase voll, mir hat es auch im Theater keinen Spaß mehr gemacht. Man musste sich immer verbiegen, es war alles so verlogen. Dann kamen wir in Westberlin an, mein Mann hat als Arzt schnell Arbeit gefunden, meine Tochter ging schon in die Schule. Und ich saß alleine zu Hause mit meinem Sohn, der erst vier Wochen alt war und kannte hier niemanden. Das war eine harte Zeit, ich hab sehr gezweifelt. Aber dann ging die Sonne auf: Das Renaissance-Theater hatte damals das Studio eröffnet, da hab ich vorgesprochen und sie haben mich genommen. Dort hab ich Uli kennengelernt. Wir haben auch zusammen gespielt und in den Neunzigern schon einmal ein Projekt zusammen gemacht. Und dann, wie war das, erzähl du!

Jackwerth: Wir waren zusammen auf einer Lesung, danach kam das Gespräch auf Maxie Wander. Dann sickerte das so ins Hirn rein und ein paar Tage später haben wir nachgerechnet – genau 40 Jahre war das her, da könnte man doch … So ist die Idee geboren und dann nahm das ganz schnell Fahrt auf, immer mehr Frauen haben sich gemeldet. Es gab eine große Lust, die eigene Geschichte zu erzählen, das macht man ja sonst nur, wenn man frisch verliebt ist, oder beim Psychiater.

Stenzel: Wir haben gelacht und geweint, übrigens ganz oft hier an diesem Küchentisch. Nicht nur wir waren glücklich, weil uns die Frauen so viel Vertrauen geschenkt haben. Auch sie sind jedes Mal ganz glücklich gegangen.

Was ist Ihre Antwort auf die Frage, wie viel von der Ostsozialisation übrig geblieben ist?

Stenzel: Je länger ich wieder in Berührung komme mit dem Osten, umso mehr fühle ich mich dem wieder verbunden. Eine Frau hat es ganz gut gesagt: Ossis können sich riechen. Es ist einfach eine andere Art der Kommunikation.

Jackwerth: Ich muss sagen, für mich sind das alles Kämpferinnen. Waren es damals und sind es noch heute. Sie haben auch Lehrgeld bezahlt, aber das sind alles starke Personen.

Wenn ich die Frauenprotokolle von Maxie Wander lese, über 40 Jahre alt und aus einer ganz anderen politischen Zeit, gibt es trotzdem so viel, das auch mein Leben berührt. Sind die Themen für Frauen trotz Systemwechsel die gleichen geblieben?

Jackwerth: Ich habe das Gefühl, da gibt es wenig, was nicht mehr aktuell ist. Selbstzweifel, Enttäuschung, Familie, Kinder, Beruf, alles unter einen Hut zu bringen. Ich habe sogar das Gefühl, das ist heute noch schwerer, weil alle so tun, als wäre es leicht, und die Erwartungen so hoch sind.

Stenzel: Aber die Chance auf Veränderung, die unsere Frauen jetzt haben, das ist doch etwas Wesentliches. Die Frage, ob es das schon gewesen war, die lässt sich heute anders beantworten.

„Nicht nur wir waren glücklich, weil uns die Frauen so viel Vertrauen geschenkt haben. Auch sie sind jedes Mal ganz glücklich gegangen“, sagt Monika Stenzel

Jackwerth: Aber große Hoffnungen zerbröseln auch heute noch.

Glauben Sie, dass es allen Frauen gut täte, einmal ihr Leben von vorn bis hinten zu erzählen, mit allem, was sie ausmacht?

Jackwerth: Der Bedarf ist jedenfalls da. Wir hätten zehn Bücher füllen können. Durch das Aussprechen ordnen sich die Dinge neu. Bei manchen Frauen wirkt das immer noch nach. Das ist toll!

Sie haben schon einige Male aus Ihrem Buch gelesen. Kommen da eigentlich nur Frauen?

Jackwerth: Im Wesentlichen ja. Außer auf dem Dorf, da bringen die Frauen ihre Männer mit. Aber selbst wenn nur zwei Männer kommen, haben sie garantiert zwei Wortmeldungen.

Nochmal zurück zum Frauentag: Die letzten Jahre haben Sie hier in der Küche Eierlikörchen getrunken …

Stenzel: Und diesmal machen wir das bei unserer Lesung im Heimathafen, das passt doch. Ich hab auch noch zwei Blümchen, Uli. Die stecken wir uns dann an!

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