Kommentar Digitalisierung an Schulen: Tablets machen nicht klüger

Der Digitalpakt nützt derzeit vor allem der IT-Branche. Pädagog*innen müssen einen kritischen Umgang mit Medien vermitteln können.

Drei Schulkinder, von oben fotografiert, sitzen nebeneinander. Das in der Mitte hält ein Tablet in der Hand.

Bereit für den neoliberalen digitalen Kapitalismus? Foto: dpa

Nun scheint der „DigitalPakt Schule“ besiegelt. Es muss nur noch der Bundesrat zustimmen. „Pakt“, so hieß auch das Konstrukt, das Mephisto und Faust einst schlossen. Wie sie lässt sich ausrufen: „Die Wette biet’ ich!“ – „Topp!“ – „Und Schlag auf Schlag!“ Am Ende steht fest: Der Gewinner ist die IT-Industrie!

Es bestehen große Zweifel, dass die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler sich durch eine veränderte IT-Ausstattung an den Schulen verbessern. Nicht nur Medienwissenschaftler wie Ralf Lankau und Paula Bleckmann vom „Bündnis für humane Bildung“, erklären seit Jahren fast mantraartig, dass bisher keine einzige valide wissenschaftliche Studie den Nutzen von Digitaltechnik für schulische Lernprozesse nachweisen konnte.

Auch die viel zitierte Meta-Studie des australischen Erziehungswissenschaftlers John Hattie ermittelte für den Einsatz von Computern im Unterricht nur eine geringe Lerneffektstärke. Das Wichtigste – so Hattie – ist klares und strukturiertes Lehrerhandeln. Bisher allerdings konnten sich kritische Stimmen kaum Gehör verschaffen. Auf die Bildungspanik folgte die Digitalpanik. Und jetzt werden 5 Milliarden Euro vom Bund bereitgestellt für die sogenannte digitale Infrastruktur der Schulen.

Die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein hat in ihrem Buch „Schock-Strategie“ die These entwickelt, dass Schockereignisse – auch inszenierte – politisch genutzt werden, um neoliberale Wirtschaftsformen zu etablieren. Betrachtet man die Debatte um die Digitalisierung des Bildungssystems, entdeckt man einen ähnlichen Verlauf: Durch Krisen-Begriffe wie „Kreidezeit“ oder „Digitales Steinzeitalter“ wird eine Angst ­erzeugt, die den Umbau des Bildungssystems alternativlos erscheinen lässt und der Digital­industrie einen großen Absatzmarkt verschafft.

Schadensbegrenzung und kritische Diskurse

Dazu passt, dass viele große IT-Unternehmen ihren Etat für Lobbyarbeit enorm erhöht haben. Man kann nicht über den Digitalpakt reden, ohne über den neoliberalen digitalen Kapitalismus zu sprechen, dessen Ziel es ist, Daten in Geld zu verwandeln. Jetzt gilt es zum einen, für Schadensbegrenzung zu sorgen, und zum anderen, zu überlegen, wie der Digitalhype genutzt werden kann, um Schulen und Universitäten für kritische Diskurse zu öffnen – denn pädagogische Arbeit muss Erziehung zur Mündigkeit sein. Diese Forderung formulieren immerhin noch die meisten Lehrpläne.

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Wenn es heißt, wir müssen die Jugendlichen „fit fürs digitale Zeitalter machen“, so darf das nur bedeuten: Bringt ihnen bei, wie sie sich dem Zugriff großer IT-Konzerne entziehen, wie sie deren Tracking-Strategien durchschauen, wie sie den gesenkten Blick aufs Smartphone in eine aufrechte Haltung verwandeln. Deswegen muss das pädagogische Ziel lauten: Erziehung zur Medienmündigkeit. Den Begriff „Medienmündigkeit“ führten die bereits erwähnten Medienwissenschaftler Bleckmann und Lankau vom Bündnis für humane Bildung in die Mediendebatte ein. Sie grenzen ihn vom mittlerweile zum Plastikwort mutierten Begriff der „Medienkompetenz“ ab.

Medienmündig zu sein heißt vor allem: das notwendige technische Wissen zu besitzen, digitale Medien achtsam, selbstbestimmt, zeitsouverän, bewusst und in kritischer Distanz zu nutzen. Entwicklungspsychologisch können Kinder und Jugendliche dies übrigens nicht vor dem 12., wahrscheinlich kaum vor dem 16. Lebensjahr.

Kollegien vieler Schulen sind gespalten

Neben Medienanalyse- und Reflexionsvermögen sollten Jugendliche auch eine Argumentations- und Diskussionsfähigkeit ausbilden, um über relevante Themen des digitalen Kapitalismus aufmerksam und dialogisch sprechen zu können. Wichtige Themen sind hier unter anderem: die Medialisierung der Lebenswelt, Soziale Medien und alternative Messenger- und E-Mail-Dienste, Datenschutz, Verschlüsselungstechniken, trackingsichere Suchmaschinen und sozialpsychologische Folgen des Medienkonsums, aber auch Fragen der Ökologie und einer fairen Ökonomie. Dafür benötigen wir ein neues Schulfach: „Medienwissenschaft“.

Gegenwärtig sind die Kollegien vieler Schulen gespalten. Da gibt es technikaffine und digitaleuphorische Lehrerinnen und Lehrer der Fächer Informatik, Mathematik und Physik – und viele junge Lehrkräfte, die das Smartphone schon als Quasi-Organ in ihr Körperschema integriert haben. Sie nutzen schon jetzt intensiv digitale Medien im Unterricht. Die Snowden-Enthüllungen haben sie kaum zur Kenntnis genommen (da sie ja nichts zu verbergen haben) und sehen kein Problem darin, schulbezogene Daten in die Clouds privater Anbieter zu laden.

Und da gibt es auf der anderen Seite die Skeptiker, die aus sozialpsychologischer, juristischer und medientheoretischer Sicht Einwände äußern, Kritisches zum Thema Digitalisierung lesen und traditionelle Lehrmittel wie Bücher, Hefte, gelegentlich auch DVDs, favorisieren, deren Unterricht also noch – wie es heißt – in der Offline-Welt stattfindet.

Erziehung zur Medienmündigkeit

Die Kluft zwischen diesen beiden Gruppen ist nur schwer zu überbrücken, und schlimmstenfalls löst sich das Problem demografisch, weil die skeptischen Lehrerinnen und Lehrer in der Regel älter sind und nach und nach pensioniert werden. Daher ist es umso wichtiger, dass an den Universitäten ein interdisziplinärer Studiengang eingerichtet wird, der Lehrerinnen und Lehrer ausbildet, die beides vermögen: die Vermittlung von Informatikkenntnissen und von medienphilosophischem und medienpolitischem Wissen.

In den Schulen muss es jetzt – im Sinne der „Erziehung zur Medienmündigkeit“ – erstens darum gehen, den Einfluss privater IT-Firmen zu minimieren und Lernprogramme zu verweigern, die Personendaten sammeln. Zweitens muss jedes Kollegium genau überlegen, welche digitale Infrastruktur es aufbauen möchte. Ein mögliches Ergebnis könnte sein, dass Informatiklehrer gemeinsam mit technikinteressierten Schülerinnen und Schülern Linux als Betriebssystem etablieren, dass ein Intranet aufgebaut wird, dass man nur bestimmte Räume WLANifiziert, dass man – wie Lankau es fordert – gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern an Computern offline arbeitet und Rechnerstrukturen erforscht.

Vor allem aber muss sich jede Lehrerin und jeder Lehrer die Frage stellen, in welchem Fach bei welchem Thema es sinnvoll ist, mit digitalen Medien zu arbeiten, und wann es kontraproduktiv ist. Deswegen sind sogenannte Tablet-Klassen auch kein gutes Modell.

Digitalofensive ist wenig durchdacht

Alle Lehrkräfte müssen sich im Klaren sein: Ist die digitale Infrastruktur einmal eingeführt, ist sie nicht mehr abzuschaffen. Plötzlich hat man einen Access-Point direkt über seinem Pult, der dort auch bleibt. Zudem muss die Digitalausstattung in Stand gehalten werden. Je mehr digitale Geräte, desto mehr Wartungs- und Administrationsaufgaben und desto mehr Stromverbrauch. Und jeder kennt die Halbwertszeit von Digitaltechnik. Die Profite der IT-Unternehmen sind gesichert.

Nun fordert das KMK-Strategiepapier, dass die Vermittlung von „Kompetenzen in der digitalen Welt“ ein integrativer Teil der Fachcurricula aller Fächer sein soll, und dieser Forderung folgt zum Beispiel auch der neue Berliner Rahmenlehrplan. Der integrative Ansatz zeigt, wie wenig diese Digitaloffensive durchdacht ist, setzt er doch kritische IT-Kompetenz bei allen Lehrenden voraus. Für eine Übergangszeit mag das angehen, doch können Lehrerinnen und Lehrer, die sowieso schon an der Belastungsgrenze arbeiten, diese Kompetenzen nicht en passant durch Fort- und Weiterbildungen erwerben – vor allem nicht in der notwendigen intellektuellen Durchdringung. Sie müssten dafür zudem in irgendeiner Weise entlastet werden.

Die Papiere aus den Bildungsministerien sprechen stets von einer „Medienkultur“, dem „digitalem Zeitalter“ oder der „digitalen Revolution“. Man scheint dort aber noch nicht verstanden zu haben, was es heißt, in dieser Zeit zu leben. Wenn die sogenannte postmoderne Medienkultur und der digitale Kapitalismus wirklich unser gesamtes In-der-Welt-Sein radikal verändern, dann muss es Lehrerinnen und Lehrer geben, die dies fachlich kompetent vermitteln können.

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