Verfassungsbruch light

Nach heftiger Kritik von Opposition und BürgerrechtlerInnen rudert die niedersächsische Landesregierung beim neuen Polizeigesetz minimal zurück. Präventivhaft soll nun maximal 35 Tage dauern. KritikerInnen halten das Gesetz weiterhin für verfassungswidrig

Wer im Verdacht steht, über Straftaten nachzudenken, soll sich in Niedersachsen künftig länger in Präventivhaft wiederfinden Foto: Sven Pförtner/dpa

Von Reimar Paul

Das heftig umstrittene neue Polizeigesetz für Niedersachsen wird entschärft – ein kleines bisschen jedenfalls. Statt wie bislang vorgesehen insgesamt 74 Tage soll die Präventivhaft für sogenannte Gefährder höchstens 35 Tage dauern dürfen. Darauf haben sich Spitzenpolitiker von SPD und CDU verständigt, wie die Landesregierung am Wochenende bestätigte. Zuerst hatte der Weser-Kurier in seiner Samstagausgabe über die Vereinbarung berichtet.

Künftig soll gegen Terrorverdächtige nun zunächst 14 Tage Präventivhaft verhängt werden können. Diese kann um zwei Wochen und dann noch einmal um sieben Tage verlängert werden. Das 74-Tage-Modell, das die CDU im Koalitionsvertrag durchgesetzt hatte, sah ein verlängerbares drei Stufen -Modell von 30 plus 30 plus 14 Tagen vor. Die Union hatte versucht, diese Variante durch Zugeständnisse bei der richterlichen Kon­trolle zu retten. Der modifizierte Entwurf soll nun im Mai vom Landtag gebilligt werden, hieß es aus der Landesregierung.

Die Verabschiedung eines neuen Polizeigesetzes ist eines der zentralen politischen Projekte der Landesregierung für diese Legislatur. Das Vorhaben stieß von Beginn an auf heftigen Widerstand bei Grünen und FDP, Bürgerrechtlern und Bürgerini­tiativen. Neben der Präventivhaft steht vor allem die elektronische Fußfessel und das Datenauslesen aus Computern ohne richterliche Anordnung in der Kritik. Fachleute bezeichneten das Gesetz und insbesondere die Präventivhaft bei Anhörungen als verfassungswidrig oder „verfassungsrechtlich bedenklich“, so etwa die niedersächsische Datenschutzbeauftragte.

Für einen so schwer wiegenden Eingriff in Grundrechte nenne der Gesetzentwurf keine ausreichende Begründung, hatten auch die Experten des unabhängigen Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes (GBD) des Landtages bemängelt. Es reiche nicht zu behaupten, eine so lange Ingewahrsamnahme sei notwendig, um terroristische Straftaten hinreichend sicher zu unterbinden. Mehrmals – zuletzt im Dezember – gingen in Hannover Tausende gegen die Novelle auf die Straße. Auch in anderen Bundesländern gab und gibt es Massendemonstrationen gegen neue Polizeigesetze.

Die Proteste ließen die SPD nicht völlig unbeeindruckt. Schon vor Weihnachten deutete Innenminister Boris Pistorius (SPD) einige Zugeständnisse an: So soll die Polizei nicht, wie zunächst vorgesehen, allein anordnen dürfen, ob jemandem eine elektronische Fußfessel angelegt wird. Auch Kontaktverbote oder Aufenthaltsvorgaben für potenzielle Straftäter werden nicht im Ermessen von Polizisten liegen. In diesen Fällen soll erst ein Richter oder eine Richterin der jeweiligen Maßnahme zustimmen.

Zuletzt reformiert wurde das Polizeigesetz in Niedersachsen vor zwölf Jahren.

Ziel sei es, den Zugriff auf Daten zu vereinfachen, sagt die Landesregierung. Vor allem die terroristische Bedrohungslage habe sich dramatisch verschärft. Anders als bisher soll die Polizei künftig schon dann Menschen überwachen, verfolgen und gefangen nehmen dürfen, wenn ihnen unterstellt wird, über Straftaten nachzudenken.

Verabschiedet werden sollte die Gesetzesnovelle im November. Nach Massenprotesten und der Androhung von Verfassungsklagen ist die Landesregierung in einigen Punkten zurückgerudert.

KritikerInnen argumentieren, nicht ein Mangel an Daten sei in der Vergangenheit das Problem gewesen, vielmehr hätten Ermittler aus dem vorhandenen Material nicht die richtigen Schlüsse gezogen.

Während Innenminister Pistorius seine Bereitschaft erklärte, den Entwurf auch beim Thema Präventivhaft nachzubessern, wollte die CDU ihre Forderung nach 74 Tagen Unterbindungsgewahrsam zunächst nicht aufgeben. Im Landtagswahlkampf hatte die Union sogar noch eine Präventivhaft bis zu anderthalb Jahren verlangt. Bislang lag die Höchstgrenze bei zehn Tagen.

Neben dem Kompromiss bei der Präventivhaft soll sich die Koalitionsrunde unter Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und seinem Vertreter Bernd Althus­mann (CDU) auch bei den weiteren Streitpunkten Videoüberwachung und Kampf gegen die organisierte Kriminalität geeinigt haben. Hier waren Einzelheiten am Montag noch nicht bekannt. CDU-Fraktionsvize Uwe Schünemann erklärte lediglich, beide Parteien hätten über „möglichen Änderungsbedarf“ gesprochen. Dabei würden „sowohl zusätzliche Befugnisse als auch eine Anpassung von Befugnissen auf den tatsächlichen Bedarf der Sicherheitsbehörden gesehen“. Eine endgültige Einigung stehe aber noch aus.

Kritikern gehen indes auch die bekannten Änderungen nicht weit genug. Grünen-Fraktionschefin Anja Piel sagte, sie könne keine echten Verbesserungen erkennen. Sie halte das Gesetz daher nach wie vor für verfassungsrechtlich bedenklich. Auch Juana Zimmermann vom Bündnis „noNPOG – Nein zum neuen niedersächsischen Polizeigesetz“ kündigte eine Fortsetzung der Proteste an. Die Reduzierung der Präventivhaft ändere nichts daran, dass sie verfassungswidrig bleibe.