Rauschen, Gurgeln, Sabbeln

Mit der Reihe „Musik, Töne & Geräusche – Sound im Kino“ will das Arsenal den Blick schärfen für das, was man hört im Film

In Jacques Tatis „Die Ferien des Monsieur Hulot“ aus dem Jahr 1953 wird die Idylle von einer grotesken Geräuschwirklichkeit zerstört Foto: Foto:Arsenal

Von Andreas Hartmann

Fährt man in seinen wohlverdienten Urlaub, was will man da haben? Seine Ruhe natürlich. Maximal ein paar Vögel dürften vor sich hinträllern – aber bitte nicht zu laut. Der französische Regisseur Jacques Tati lässt diese Hoffnung auf Kontemplation in seinem Film „Die Ferien des Monsieur Hulot“ aus dem Jahr 1953 von einer grotesken Geräuschwirklichkeit zerstören, die es in sich hat. Das vermeintliche Urlaubsidyll am Meer wird als Horrorort entlarvt. Egal wo man sich hier bewegt, egal was man tut, überall zerren Geräusche und Töne an den Nerven. Weniger das, was man sieht, als vielmehr, was man hört, macht den ganzen Film bis heute zu einem eigenwilligen Komödienklassiker.

Natürlich ist er auch zu sehen in der Reihe „Musik, Töne & Geräusche – Sound im Kino“, die den ganzen März über im Kino Arsenal zu sehen ist. Den Blick schärfen für das, was man hört im Kino, darum scheint es hier zu gehen. Damit ist weniger der klassische Soundtrack gemeint, das akustisch Offensichtliche beim Film, sondern eben das ganze akustische Drumherum, festgehalten auf der Tonspur. Mit dieser, das versucht die Reihe zu zeigen, lässt sich genauso kreativ das Gesamtwerk Kinofilm prägen, wie mit der Kamera.

Kuratiert wurden für die Reihe freilich nicht nur Filme, die so offensichtlich auf die Manipulation der Tonspur setzen, wie das bei Tatis Film der Fall ist. Bei Tati macht jeder Tennisball ein groteskes Plong, der Geräuschwitz ist unüberhörbares Dauerprogramm. Aber auch viel subtilere Methoden der Gestaltung eines Films durch den Ton sollen gezeigt werden. Etwa in Akira Kurosawas Epos „Ran“ von 1985. Der an Shakespeares „King Lear“ angelehnte Reigen um Verrat, Intrigen und Moral kommt eher ruhig daher. Und gerade das ist ja das Besondere. Die aufwendigen Schlachten, beeindruckend gefilmt, füllen die Leinwand aus, menschliche Körper werden von Pfeilen zersiebt, apokalyptische Blutorgien zelebriert. Aber wo hier nun Geschrei, Gestöhne, Säbelgerassel ertönen müsste, setzt Kurosawa auf einen Verfremdungseffekt. Das Morden geht weiter, aber nun ganz ohne Schlachtengetöse, dafür allein zur elegischen Musik des japanischen Komponisten Takemitsu Toru. Der Realismus der Bilder verwandelt sich so in einen surreal anmutenden Albtraum. Ein kleiner Kunstgriff mit beeindruckender Wirkung.

Experimente mit der Tonspur finden sich im Genre- und Avantgardekino genauso wie im Hollywoodfilm. Aber den meisten Raum für Kreativität lässt sicherlich der Genrefilm. Unzählige Monster und Außerirdische der Filmgeschichte wollten schließlich auch akustisch vorgestellt werden. Die ganzen Viecher sollen dabei nicht nur möglichst unheimlich aussehen, sondern sich auch dementsprechend anhören. Und das Wühlen in Gedärmen, Aufschlitzen von Körpern, all das soll sich im Film auch möglichst spektakulär anhören. Schon „King Kong“ von Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack aus dem Jahr 1933, ein früher Horrorfilm, benötigte für seinen Menschenaffen eine Artikulation, der man anhören sollte, dass das Untier auch wirklich eines ist. Der Tontechniker soll in diesem Fall Aufnahmen des Gebrülls von Löwen und Tigern übereinandergeschichtet und verlangsamt abgespielt haben. Das befriedigende Ergebnis wurde King Kong in das Maul gelegt. Das Erzeugen wirkungsvoller Soundeffekte war also bereits ein paar Jahre nach der Erfindung des Tonfilms enorm wichtig für die Filmindustrie.

Ob David Lynchs „Eraserhead“ aus dem Jahr 1977 noch Genre- oder doch eher Experimentalfilm ist, das sei mal dahingestellt. Fest steht, dass er durch seine Bilder genauso verstört wie durch seinen Sound, dieses permanente Gluckern, Geschmatze und Gedröhne, dem man sich nicht entziehen kann, auch wenn man es noch so gerne tun würde. Das Geschlabber des verunstalteten Babys, die Heizung, die irgendwann einen ohrenbetäubenden Krach von sich gibt: Der ganze Film ist eine Orgie an beunruhigenden Klängen, ohne die er trotz visueller Kraft nie das bizarre Meisterwerk geworden wäre, als das er bis heute gilt. Ein guter Film wie „Eraserhead“ zeigt eben nicht nur Abgründe, er bringt sie auch zum Klingen.

Magical History Tour: 
Musik, Töne & Geräusche: Arsenal Kino, Potsdamer Str. 2, www.arsenal-berlin.de, bis 31. März