Sonnige Liebeslieder

Bob Mould war Teil des legendären Punk-Trios Hüsker Dü. Heute geht er auf Tour mit „Sunshine Rock“ und beschwört den alten Community-Geist

Von Jens Uthoff

Zufall ist es sicher nicht, dass es Bob Mould ausgerechnet nach Schöneberg verschlagen hat, als er vor knapp drei Jahren nach Berlin zog. In der Straße, in der der US-Musiker wohnt, hängen Regenbogenfähnchen an jeder Ecke, hier spielt sich das queere, metropolitane Nachtleben ab. Unweit seiner Dachgeschosswohnung befanden sich zudem einst weihevolle Stätten einer anderen Subkultur: „Dieses Viertel war in den Achtzigern ja auch ein Punk-Kiez, direkt um die Ecke war das Loft, in dem die ganzen Konzerte stattfanden“, sagt Mould, der in seinem spartanisch eingerichteten Appartement an einem massiven Esstisch Platz genommen hat.

Zwei Seiten Bob Moulds finden in Schöneberg zusammen; zwei Subkulturen, die sein Leben geprägt haben. Zum einen war Mould mit seiner Band Hüsker Dü einer der wegweisenden Rockmusiker der achtziger Jahre. Das Trio aus Minneapolis spielte Alben wie „Zen Arcade“ (1984) und „New Day Rising“ (1985) ein, die den Punk in eine neue Richtung stupsten und so die große Ära des Independent Rock einläuteten. Ohne Hüsker Dü kein Dinosaur Jr., keine Pixies, kein Nirvana, keine Foo Fighters.

Zum anderen war Mould nach seinem Wirken bei Hüsker Dü (die von 1979 bis 1987 aktiv waren) und der – kommerziell erfolgreicheren – Indieband Sugar in den Neunzigern aber auch eine wichtige Figur in der queeren Szene. In Washington etablierte er gemeinsam mit dem DJ und Produzenten Rich Morell von 2003 an die „Blowoff“-Partys für die Gay-Szene, bei der sie House, Electronica, Punk- und Indierock auflegten. „Auf vielen Partys in der Szene lief einfach immer die gleiche Klischeemusik, das wollten wir anders machen. Ich meine, ich mag auch Kylie Minogue und Madonna, aber doch nicht jeden Song!“, sagt Mould. „Wir waren damit sehr erfolgreich. Elf Jahre gab es die Partys, zuletzt kamen zu jeder Ausgabe 1.500 Leute.“

Der Titel ist ernst gemeint

Nun hat sich der Lebensmittelpunkt des 58-Jährigen nach Berlin verlagert, und sein eben erschienenes Album ist von diesem Neuanfang geprägt. Es heißt – „Sunshine Rock“; zwei Wörter, die einem nicht gerade als Erstes in den Sinn kommen, wenn man an das dreckig-darke Berlin und seine Subkultur denkt. „Meine Freunde dachten, der Albumtitel sei ironisch gemeint und die Songs darauf wären traurig“, sagt Mould, „aber der Titel ist ernst gemeint. In den vergangenen Jahren sind meine Mutter und mein Vater gestorben, zudem Grant Hart, mein Hüsker-Dü-Kollege. Nach diesen Verlusten versuche ich einfach nur, mir der glücklichen Momente bewusst zu werden und das Leben zu genießen.“

Mould, den man mit seiner dezenten Brille, der Glatze und dem grauen Bart auch für einen unscheinbaren Schöneberger Bildungsbürger halten könnte, ist jemand, den es bislang nie dauerhaft irgendwo hielt. Aufgewachsen im Norden des Staats New York, lebte er im Lauf seines Lebens in Minnesota, San Francisco (wo er heute seine Zweitwohnung hat), New York und Washington, D.C. Als er 2016 eine Arbeitsphase hinter sich hatte, fiel der Entschluss, nach Berlin zu ziehen: „Ich bin schon früher gern hierhergekommen, ich habe Freunde und ‚Musikfreunde‘ in Berlin. Und auch wenn man das im Moment kaum glauben mag“, sagt Mould und blickt aus dem Wohnzimmerfenster ins Hauptstadtgrau, „im Sommer ist Berlin mit seinen irre langen Tagen toll. Ich gehe gern spazieren, laufe durch die Stadt.“ Er sagt übrigens auch – seltenes Berlinlob in Boris-Palmer-Zeiten – der Nahverkehr funktioniere prima.

Oder ist das etwa auch schon Teil seines neuen Positiv-Thinking-Ansatzes? Auf dem Album jedenfalls ist dieser nicht zu überhören. „Sunshine Rock“ ist ein frisches, ein nach vorne gehendes Rockalbum mit bratzigen Gitarren; es klingt so, als habe man Neil Young von seiner Altersknorrigkeit befreit; das Cover mit dem großen, geschwungenen Schriftzug sieht auch sehr nach Classic Rock aus, wobei die Musik zugleich diese spezifische Indie-Selbstvergessenheit ausstrahlt. Die späten Descendents oder auch die mittleren R.E.M. kommen einem in den Sinn – Bob Mould klingt eben so wie die, die wie Bob Mould klingen. Nur hat er nun für einige Stücke ein Orchester eingespannt. Textlich regiert die Losung „to write a sunny love song every day“; hier spricht einer, der Zweifel, Schmerz und Unglück hinter sich lassen möchte, sich aber auch keinen leeren Achtsamkeits-Beruhigungsformeln hingeben will.

Überraschend ist dabei vielleicht, dass ein durch und durch politischer Mensch wie Mould die globale Krise des Liberalismus nicht anspricht. „Ich habe darüber nachgedacht, ob ich einen Protestsong schreiben soll. Aber das alles habe ich schon gemacht. Stücke wie ‚Divide and conquer‘ oder ‚In a free land‘ [von Hüsker Dü] funktionieren bis heute, und ich spiele sie ja auch live noch.“

Die aktuelle Lage in den USA erinnere ihn an die Zeit, als er diese Songs schrieb. „Damals hat die Reagan-Regierung jungen Menschen wie mir, die mit ihrer Sexualität haderten, zu verstehen gegeben: du bist nicht menschlich. Es waren die Aids-Jahre. So etwas gesagt und zu spüren zu bekommen, hat den Homosexuellen im Kampf um Selbstbestimmung nicht gerade geholfen.“ Und heute? „Haben wir diese TV-Persönlichkeit an der Spitze, einen Kriminellen, den die Evangelikalen unterstützen. Dabei ist sein Rassismus einfach grausam.“

Wie soll man da positiv bleiben, Mr. Mould? Nun, vielleicht, indem man den Community-Geist alter Zeiten reanimiert. „In den Achtzigern und Neunzigern waren selbst geschaffene Netzwerke wichtig, bei Punk und Indie ging es ja um weit mehr als ‚nur‘ Musik. Es waren Communitys, in denen man Informationen teilte, die man sich aufgebaut hat, um unabhängig von anderen Strukturen zu existieren.“ Und so, wie Bob Mould das sagt, mit diesem streng-überzeugten Blick, wirkt es fast so, als glaube er fest an eine solche Indie-Renaissance.

Bob Mould: „Sunshine Rock“ (Merge/Cargo); 8. 3., Grünspan, Hamburg, 9. 3., Columbia Theater, Berlin, 11. 3., zakk, Düsseldorf