Buchrezensionen

Lyrisches. Blitzeinschlag. Schuldgefühle. Notorisches Sammeln beim Stammeln in den unteren Ständen. Das ist der Algorithmus, bei dem niemand mitmuss. Denn vom Meckergreis bis zur Roboterliebe, am Schluss landet alles beim Suppengrün. Und ganz am Ende drohen die Vermittlungsangebote an die Mehrheitsgesellschaft. (Kein Reim, keine Botschaft, keine Pointe.)

Tränende Steine und sonst wie Lyrisches

„Wenn mir Leute sagen, sie verstünden Gedichte nicht, sag ich oft: ‚Uh, ich fühle mit dir. Aber vermutlich sind sie einfach schlecht. Sie sollten sich selbst erklären. Man sollte keinen Abschluss in Bullshit dafür brauchen, sie zu verstehen.‘ “ In aller Deutlichkeit erledigte unlängst in einem Interview die schottische Autorin A. L. Kennedy das Problem der Lyrikrezeption.

Wie viele „gute“, sich selbst erklärende Gedichte würde sie im „Jahrbuch der Lyrik“, Ausgabe Nr. 33, entdecken? „Gedichte wie Packpapier“, „einfache, praktische für den Hausgebrauch“ (Durs Grünbein) bevorzugen die Herausgeber nicht unbedingt, „Pointen“ oder „Kalauer“ sind „des Teufels“, und Mirko Bonné kann man laut Nachwort „jagen mit politischen Gedichten“. Von solcherlei Einschränkungen abgesehen, weist der 2019er Jahrgang alles auf, was die Kunstfreiheit derzeit hergibt: formal vom klassischen Sonett über grafische Spielereien bis zum erzählerischen Parlando.

Gereimt wird nach wie vor selten, nur in zwei Handvoll der rund 160 Gedichte (von „rund 8.000 eingereichten“). Natur und die Liebe sind Schwerpunkte, aber auch das Schreiben. Man sagt „Ich“ und hält sich die Kalamitäten des konkret Politischen (Klimawandel, Rechtsruck o. Ä.) vom lyrischen Leib. Große Namen sind vertreten (Jürgen Becker, Friederike Mayröcker), viele junge, unbekannte. Manch Konventionelles findet sich („Wohin sich wenden / fragen tränend die Steine“, Wolfgang Bittner), viel Hermetisches, dessen Verständnis zwar keine Abschlüsse erfordert, aber ein Faible für ostentative Kunstanstrengung: „die eier des windhuhns sind am ende / zerbrechlich. Das gibt zu denken“ (Dieter Schönecker).

Viel Stoff für ein Jahr; dass man die Perlen suchen muss, versteht sich von selbst. Und die gibt es. Ja, es gibt sogar Kalauer, Pointen, Humor, wie in den „Hausübungen“ der Wienerin Margret Kreidl: „Ein Stuhl ist kein Auto. Mach aus diesem Satz / ein Gedicht mit vierzehn Zeilen. Lern es auswendig. / So wirst du immer einen Parkplatz finden.“ Lyrik hilft. Thomas Schaefer

Christoph Buchwald, Mirko Bonné (Hg.): „Jahrbuch der Lyrik 2019“. Schöffling, Frankfurt a. M. 2019, 247 Seiten, 22 Euro

Blitzeinschlag und Schuldgefühle

Statt einer Widmung ein Zitat des amerikanischen Autors Paul Auster, der wie kein anderer von der Macht des Zufalls fasziniert ist – der etwa in seinem jüngsten Buch vier verschiedene Versionen eines einzigen Lebens beschreibt. Sofort weiß man Bescheid: Marion Braschs dritter, nur 150 Seiten kurzer Roman „Lieber woanders“ soll eine Art Versuchsanordnung sein, ein „Was wäre, wenn“, ein leichtes Spiel. Vielleicht braucht es das noch immer, denn es ist noch nicht sehr lange her, dass die Hörfunkjournalistin und Autorin den großen, schweren Roman über ihre berühmte Familie geschrieben hat, vor allem über die früh verstorbenen Brüder Thomas, Peter und Klaus.

Die Geschichte von „Lieber woanders“ umreißt einen Tag im Leben zweier Leute, die sich langsam aufeinander zubewegen. Toni, eine junge Frau, lebt in einem Wohnwagen auf dem Land und reist mit dem Moped in die Stadt, um ihren Vater und ihre Verlegerin zu treffen. Gleichzeitig verfolgen wir den älteren Alex, der gerade auf Tour mit einer Band ist, eigentlich lieber bei seiner Geliebten bliebe, dann aber ebenfalls in die Stadt muss, weil er einen Anruf von seiner Frau bekommt: Die Tochter muss am Blinddarm operiert werden. Immer im Wechsel erfahren wir mehr über Toni und Alex und beginnen zu ahnen, warum beide so unglücklich sind.

Das Tolle an Braschs Roman ist, dass er einerseits gar nichts anderes sein will als künstlich und kon­stru­iert – und dass er gleichzeitig überhaupt nicht hölzern klingt. Auf der einen Seite schaltet sich immer wieder eine Erzählerin ein, die surreale Nebengeschichten ausspinnt, auf der anderen Seite hat man Toni vor den Augen, als säße man in einem guten Film. Während sich Alex eher wie ein Abziehbild an Bilder von männlicher Härte klammert, die hochzuhalten um ihn herum kein Mensch mehr Lust hat, kommt Toni als toughe, autarke, gegenwärtige und vielschichtige Figur rüber, die immer die gleichen Kleider trägt, sich den Schädel rasiert und sich wenig um die Meinung anderer schert.

Nach und nach schält sich heraus, was Toni und Alex umtreibt. Alex ist schuld am Unfalltod des kleinen Bruders von Toni und hat sich nie gestellt, auch Toni fühlt sich schuldig. Als man das erfährt, muss man wieder an Paul Auster denken, der die Faszination, die der Zufall auf ihn ausübt, auf ein einschneidendes Erlebnis zurückführt, das er als Teenager während einer Sommerfreizeit hatte. Auster musste erleben, wie ein Freund direkt neben ihn vom Blitz erschlagen wurde. Darum geht es auch bei Brasch: wie verwundbar wir doch alle sind durch Umstände, die sich komplett unserer Kontrolle entziehen. Und wie wenig Schuldgefühle daran ändern. Susanne Messmer

Marion Brasch: „Lieber woanders“. Fischer, Frankfurt a. M. 2019, 154 Seiten, 20 Euro

Versuche, das eigene Erbe zu vernichten

Rokokohäubchen, Käfer, hin und wieder ein Van Gogh: In der Mies-van-der-Rohe-Villa des Zementfabrikanten­erben Gottfried Immerjahn hat sich so einiges angesammelt. Ein Grund mehr, den Familiensitz in ein Museum zu verwandeln. In Barbara Zemans Debütroman „Immerjahn“ begleitet die LeserIn den steinreichen Erben bei den Vorbereitungen für die geplante Museumseröffnung.

Der Protagonist geistert dabei vornehmlich durch sein verstaubtes Kuriositätenkabinett, wobei die unterschiedlichsten Gegenstände und Kunstwerke Erinnerungen auslösen. Die Wiener Autorin entwirft das Porträt eines Mannes, der in vielerlei Hinsicht gescheitert zu sein scheint: als Künstler, als Freund, als Vater – und nicht zuletzt als Liebhaber.

Das notorische Sammeln und Anhäufen von Kunstwerken – der klägliche Versuch des Protagonisten, die eigenen sozialen Unzulänglichkeiten zu kompensieren, und ein Versuch, das Erbe zu vernichten, an dem der alte Immerjahn ganz schön zu knabbern hat.

Um den melancholischen Immerjahn sind – in sicherer emotionaler Dis­tanz – nicht minder spezielle Figuren platziert. Da wäre der Sohn, der beim Versuch, sich zu ertränken, seine Passion für das Schwimmen entdeckt; die Haushälterin, deren Leidenschaft das Arrangieren von flämischen Stillleben ist; sowie seine einstmals bescheidene Ehefrau, die sich in der Rolle der betuchten Gastgeberin außerordentlich gut gefällt.

Dem Neben- und Übereinander der Immerjahn’schen Kunstsammlung entspricht die Erzählung: Den Gedanken des Protagonisten folgend, springt die Handlung vom einen zum Nächsten, vom Nebensächlichen zum Großen – und wieder zurück. Ein trockener, humorvoller Unterton begleitet diese assoziative Erzählweise. Mal ganz subtil, dann wird er lauter, geht bis ins Groteske und rettet damit über eine gelegentliche Langatmigkeit hinweg.

Besonders genussvoll lesen sich die Stellen, in denen es der Autorin in kunstvoller, poetischer Art und Weise gelingt, Nebensächliches zu beschreiben. Schon für die malerische Beschreibung von Brotkrumen auf dem Küchentisch lohnt es sich, das Buch in die Hand zu nehmen. Mira Nagel

Barbara Zeman: „Immerjahn“. Hoffmann & Campe, Hamburg 2019, 288 Seiten, 22 Euro

Chronist der unteren Stände

Einen sehr schönen Sampler mit Prosagedichten, Short Storys, kurzen Romanpassagen, aber eben auch verstreut publizierten Feuilletons und autobiografischen Selbstzeugnissen von Dietmar Sous hat Herausgeber Martin Willems hier zusammengestellt. Eine Art Fanbuch mit Lieblingsstellen aus einem gar nicht mehr so kleinen, vor allem aber bedeutenden Werk der deutschen Gegenwartsliteratur.

Weil das allerdings immer noch nicht genug Leser wissen, weil Sous seit Jahrzehnten an dem undankbaren Ru­brum „Geheimtipp“ laboriert, muss man dieses „Lesebuch“ einmal mehr als Teaser für Novizen anpreisen. Gerade weil hier nur kurze Stücke Platz finden, erfüllt es diesen Zweck sehr gut. Sous ist kein epischer Stoffballenwälzer, der Hunderte von Seiten braucht. Er ist ein Lakoniker, witzig und traurig gleichermaßen, ein abgefeimter Stilist, zu dessen besonderen Tugenden das Weglassen gehört. Solche Qualitäten zeigen sich gerade im Detail. Etwa in der großartigen, ebenso realistischen wie artistischen Dialoggestaltung.

„Der Hund hieß Boris und roch penetrant nach Köter. Er gehörte Mitchs Schwester, die für zwei Wochen nach New York geflogen war. Mitch hütete zurzeit Haus und Hund, plauderte er los. Boris setzte sich auf seinen fetten Hintern und himmelte den stellvertretenden Chef an. ,Schönes Tier, oder?‘, sagte Mitch. ,Wunderschön‘, antwortete ich. ,Da fällt’ne Menge Fleisch an. Im China-Restaurant haben sie immer Bedarf. Zweite Straße rechts.‘ Mitch lächelte süßsauer.“

Der Witz ist oft Notwehr in Sous’ literarischer Welt. Die wird in der Hauptsache von Plebejern bevölkert, die für ihre Subsistenz früh aufstehen und hart schuften müssen und folglich mit intellektuellen Verstiegenheiten und pathetischem Bohei nichts anfangen können und deren Tragikfähigkeit trotzdem nie in Zweifel steht. Sous gehört zu den unverächtlichen Chronisten der unteren Stände. Von denen gab es schon immer viel zu wenige in der deutschen Literatur. Frank Schäfer

Dietmar Sous: „Lesebuch“. Zusammengestellt und mit einem Nachwort von Martin Willems. Edition Virgines, Köln 2019, 147 Seiten, 8,80 Euro

Kochen als soziale Praxis

Bunt stilisiertes Besteck, Gabel, Messer, Löffel, ziert das Cover dieses Bandes. Meistens ausgehend von konkreten Situationen rund um das Essen – weißer Spargel als deutsches Nationalgericht, Rezepte aus Deutschland, Großbritannien, Indien, Kenia, Kochen als soziale Praxis, gemeinsames Essen als Flirt, Nahrungszubereitung unter den Bedingung der Globalisierung –, kommt die Schriftstellerin Priya Basil vom Hütchen aufs Stöckchen. Dass es gerade in Zeiten von Migration und neuem Nationalismus gut und wichtig ist, sich über die Bedeutung von Gastfreundschaft zu verständigen, ist dabei der zentrale, nie pädagogisch vorgetragene, sondern ganz selbstverständlich mitschwingende Gedanke der in Berlin lebenden Autorin. Wann fühlt man sich wohl als Gast? Wie hingebungsvoll kann man als Gastgeber werden? Man fühlt sich angenehm belehrt und gut unterhalten bei der Lektüre. Und bekommt auch immer wieder ganz einfach Hunger. drk

Priya Basil: „Gastfreundschaft“. Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender. Insel, Berlin 2019. 136 Seiten, 14 Euro

Keine Angst vorm Algorithmus

Manche Dinge hängen über uns wie Schatten. Diese Algorithmen, zum Beispiel. Sie lassen eine menschengemachte Zukunft immer unglaubwürdiger erscheinen – während ihre Funktionsweisen oft im Unklaren bleiben. Dabei sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass ein Algorithmus nichts weiter ist als eine Rechenanweisung, ein bisschen wie ein Kochrezept – oder das schriftliche Dividieren.

Reich an Anekdoten berichtet Hannah Fry in ihrem neuen Buch von Bereichen, in denen Algorithmen Einfluss auf unseren Alltag nehmen – oder dies in Kürze tun werden. Dazu stellt sie einerseits Projekte wie die Entwicklung von selbstfahrenden Autos oder die Personalisierung des Online-Shoppings vor. Diese würden hauptsächlich aus Profitinteresse betrieben. Auf der anderen Seite fänden sich aber auch Entwicklungen mit gesamtgesellschaftlichem Mehrwert. Hierzu zählt Fry die frühzeitige Krebserkennung oder die Kriminalitätsbekämpfung mittels statistischer Auswertung von Raumdaten. Hier sieht die Autorin, als Mathematikerin selbst mit der Anwendung statistischer Modelle auf die Humangeografie beschäftigt, großes Potenzial.

Sie warnt allerdings vor allzu hohen Erwartungen. Das seien meist einfach Werbeversprechen. Stark macht Fry sich für die Konstruktion von Algorithmen, deren Autorität unbestimmt, deren Aufbau zugänglich und deren Ergebnisse „von Grund auf anfechtbar sind“. Was genau sie damit meint, bleibt leider unklar. Dabei böten die von der Autorin geschilderten (häufig mit Verweis auf Patentrechte oder geistiges Eigentum für beendet erklärten) Rechtsstreitigkeiten um die Offenlegung öffentlich genutzter Algorithmen eigentlich reichlich Futter für politische Debatten. Mögen Letztere auch etwas zu kurz kommen, so bleibt das Buch eine unterhaltsame Einführung, die nebenher einige statistische Grundlagen vermittelt. Frederic Jage-Bowler

Hannah Fry: „Hello World. Was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern“. Übers. v. Sigrid Schmid. C.H. Beck, München 2019, 256 S., 12, 99 Euro

Dem Meckergreis Paroli bieten

Der Satz „Früher war alles besser“ gehört zu den dümmsten Formen des sedativen Selbstbetrugs. Gegenwartseskapismus pur, dagegen sind die Fantasywelten eines Harry Potter der reinste Sozialrealismus. Der französische Philosoph Michel Serres, mit 88 Jahren in einer Altersgruppe, der gern die Neigung zur Vergangenheitsverklärung zugesprochen wird, bekommt bei derlei Jetztverachtung, die er bei seinen Landsleuten beobachtet, einen „optimistischen Wutanfall“.

Und da er auf eine vergleichsweise lange Zeitstrecke des Früher zurückblicken kann, beantwortet er die titelgebende Frage „Was genau war früher besser?“ unter Rückgriff auf eigene Erfahrungen – und seine Freude an Polemik. Dazu stellt er den vermeintlich besseren alten Tagen die Verdienste von heute gegenüber.

Der Klage etwa, dass alle Welt auf Smartphones starre und mehr in der virtuellen als der realen Welt zu Hause sei, begegnet Serres, der als Soldat im Sinaikrieg diente, mit dem Hinweis, er wäre froh gewesen, wenn die Toten damals nicht „in der harten Realität“ auf ihn eingestürzt wären, sondern „in der sanften Virtualität eines Videospiels“. Auf die Klage über soziale Vereinzelung erwidert er, dass der Preis für die Zusammengehörigkeit von früher jene Ideologien waren, die zum Teil zu den großen Verbrechen des 20. Jahrhunderts führten. Wie er auch daran erinnert, dass es in Westeuropa seit fast 75 Jahren Frieden gibt, was es hier seit der „Pax Romana“ nicht gegeben habe. Die schönsten Passagen sind aber weniger die gar nicht mal so originellen Auflistungen zivilisatorischer Leistungen, sondern die Erinnerungen von Serres: Anschaulich und knapp schildert er seine Erlebnisse als Matrose oder Internatsschüler – oder wie er als Kind in einer Brotscheibe ein Stück vom Kautabak des Müllers fand. Tim Caspar Boehme

Michel Serres: „Was genau war früher besser? Ein optimistischer Wutanfall“. Übers. v. Stefan Lorenzer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 80 S., 12 Euro

Eine Roboterliebe oder nur Sex

Für die vielen Menschen, die in letzter Zeit zu Recht „Warum Liebe endet“ der Soziologieprofessorin Eva Illouz gelesen haben und hören mussten, dass Liebe in Zeiten der Follower und der Dating-Apps zunehmend schwieriger bis unmöglich werde, weil uns schon kleine Makel an Anderen dazu verleiten, diese Menschen aus unserem Leben zu wischen, für all diese Menschen hat Sophie Wennerscheid, je nachdem, Trost oder Schock in petto: Roboter könnten die Lust- und Liebesobjekte in einer zum Greifen nahen Zukunft werden. Klingt absurd? Nun ja, aber wer hätte vor zehn Jahren ernsthaft gedacht, dass wir heute mit iPhone-Siri und morgen mit unserem Kühlschrank plaudern?

Da Wennerscheid weder Cybernetik-Expertin noch Sex-Ratgeberin ist, sondern literatur- und filmwissenschaftliche Kulturprofessorin, fällt sie allerdings nicht gleich mit Teledildos und Virtual-Reality-Porn ins Haus, sondern erinnert zunächst an die Tradition des Topos, dass Menschen sich gefügige Puppen bauen: von Ovids „Pygmalion“ hin zu E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“. Über Spinoza, Deleuze, Levinas und Butler schweifen ihre Überlegungen rasch zu neuerer queerfeministischer Forschung, aber auch neuesten Sci-Fi-Streamingserien und ethischen Fragen: Ist es eigentlich moralisch, Sexroboter zu bauen, die hypersexualisierten Frauen oder gar Kindern zum Verwechseln ähnlich sehen? Und wenn damit Vergewaltigungen verhindert werden könnten? Und ist andererseits Begehren auf Augenhöhe überhaupt möglich, wenn ein Roboter immer funktioniert, also gefügig ist? Die Kapitel, die lose zwischen Fakt und Sci-Fi-Kunst pendeln, fügen sich keiner stringenten Argumentationsarchitektur, aber geben gute Impulse für ein Thema, das weniger belächelt und mehr bedacht gehört. Stefan Hochgesand

Sophie Wennerscheid: „Sex machina. Zur Zukunft des Begehrens“. Matthes & Seitz, Berlin 2019, 240 S., 24 Euro

Eine nervende Frage und das Suppengrün

„Woher kommst du?“ – ist das nun freundliche Neugierde, oder zeugt diese Frage davon, dass „echte“ Deutsche in unseren Köpfen noch immer nur mit weißer Haut und blonden Haaren denkbar sind? In ihrem Buch „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier“ geht die Publizistin und Kolumnistin Ferda Ataman dem deutschen Selbstverständnis auf den Grund.

In lockerem Ton und mit dem Versuch, ein bisschen Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, erklärt Ataman: Deutschland scheitert im Jahr 2019 noch immer an der Erkenntnis, dass wir längst in einem Einwanderungsland leben. „Nicht die Integration ist gescheitert, sondern unsere Integrationsdebatte“, schreibt Ataman. Migrant*innen hätten Deutschland mit aufgebaut, sich trotz fehlender Unterstützung integriert und ihre Kinder schielten inzwischen in die Chefetagen.

Atamans Buch ist ein Vermittlungsangebot an die Mehrheitsgesellschaft. „Das Leitkultur-Blabla nervt“, schreibt Ataman, und ist dabei so freundlich und geduldig, dass man sie nach ihrem Rezept für innere Balance fragen würde. An Entschiedenheit fehlt es ihr dabei nicht. „Das Suppengrün redet im Kartoffeldiskurs mit“, schreibt sie. „Das ist jetzt so.“ Dinah Riese

Ferda Ataman: „Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!“. S. Fischer, Frankfurt/Main 2019, 208 Seiten, 13 Euro