Prost, Groko!

Sechs taz-Meinungen zum ersten Jahr der schwarz-roten Koalition, eine Bilanz der Regierungsarbeit seit Merkels Wiederwahl und die weiteren Aussichten
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Foto: C. Schmidt/plainpicture

#NoGroko21

Das Argument der Groko-Gegner war schlüssig: 2017 ist die SPD auf 20,5 Prozent gefallen, weil sie in ihren Jahren mit der Union ihr Profil verloren hat. Soll es wieder nach oben gehen, muss sie raus aus der Koalition. Tja: Heute liegt sie bei 15 Prozent. Unterschiede zum Koalitionspartner gibt es zwar. Die Kompromisse, die die SPD der Union abringt, sind aber so winzig, dass sich die Sozialdemokraten regelmäßig für sich selbst entschuldigen. Und der Linksruck, den sie zuletzt andeuteten, wird ohne neue Machtperspektive auch nicht verfangen. Immerhin: Geht es so weiter, wird #NoGroko 2021 wahr. Dann haben SPD und Union im Parlament nämlich keine Mehrheit mehr. Tobias Schulze, Ressortleiter Inland

Drama, Baby, Drama!

Groko ist langweilig, Groko kennen wir schon. Nicht doch! Anstatt im Plenarsaal still vor sich hin zu schimmeln, machten sie es in diesem Jahr endlich wieder spannend. Für die SPD löste Andrea Nahles („in die Fresse“) den dauerimprägnierten Schlafsprech der Ära Merkel ab, bei der CDU demütigte der 25-jährige Phi­lipp Amthor die AfD mit Basiswissen Verfassungsrecht und entpuppte sich als Erzkonservativer, den Linke lieben. Ganz zu schweigen von diversen Sinnkrisen (SPD) und Beinahe-Trennungen (Union).

Natürlich ist gute Unterhaltung nicht synonym mit guter Politik. Aber was hat die Demokratie davon, wenn keiner mitbekommt, was sie alles kann?

Johanna Roth, Ressortleiterin Meinung

Nichtdigitale Milchkannen

In der Bildungspolitik konnte sich die Groko zuletzt auf die Schulter klopfen: Sie hat das Bafög erhöht und sich mit den Ländern auf den Digitalpakt Schule verständigt. Ein erster Schritt, mehr nicht. Die Liste der schwarz-roten Bildungsversprechen bleibt lang: neuer Hochschulpakt, Programm für Brennpunktschulen, Mindestlohn für Azubis, Ausbau der Ganztagsschulen etc. Dass die guten Ansätze kaum wahrgenommen werden, liegt aber vor allem an der zuständigen CDU-Ministerin Anja Karliczek. Sie verprellt Bafög-Empfänger und Uni-Rektoren mit taktlosen Äußerungen – und fällt mit Unsinnigem über gleichgeschlechtliche Paare oder nichtdigitale Milchkannen auf. So gesehen ist Karliczek im Groko-Kabinett gut aufgehoben. Ralf Pauli, Bildungsredakteur

Heiko, der Fünfzehnte

Für die neu aufgelegte Groko hätte man sich gewünscht, dass ein wenig CDU-Matriarchat auf die SPD abfärbt. Die Sozialdemokratie ist natürlich ganz großartig aufgestellt, wenn es darum geht, Frauenförderung ins Wahlprogramm zu schreiben. Doch wenn’s wirklich wichtig wird, dann doch bitte lieber jemanden, der Krawatte trägt und auf Haarausfall vorbereitet ist. Im Finanzministerium ohnehin. Aber auch das Außenministerium ging an einen Mann, den fünfzehnten in Folge, Heiko Maas.

Die Zahl der Krisen in der Welt ist enorm. Doch ist Ihnen in Maas’ erstem Jahr im Auswärtiges Amt etwas Markantes aufgefallen? Krisendiplomatie, Konfliktlösungen, neue Ideen oder Konzepte? Ist überhaupt etwas in Erinnerung geblieben? Genau, mir auch nicht. Silke Mertins, Meinungsredakteurin

Ziel: Ausstieg

Deutschland hat jetzt einen Termin für den Kohleausstieg: 2038. Der steht zwar nicht verbindlich fest, doch die Kohlekommission formuliert es als machbar, das bleibt. Bis 2022 sollen zudem einige Kohlekraftwerke vom Netz. Leider zu wenige für das Klima – Ziel verfehlt. CSU-Verkehrsminister Scheuer ist eine Katastrophe, er schützt Autokonzerne vor Dieselkunden statt Bürger*innen vor Dieselabgasen. Ebenso ein Totalausfall ist CDU-Landwirtschaftsministerin Klöckner, sie geht das Jahrhundertproblem Insektensterben nicht an. Lichtblicke: SPD-Umweltministerin Schulze, die ein echtes Klimaschutzgesetz will. Und Entwicklungsminister Müller (CSU): Ab 2019 will er ein staatliches Siegel für faire und ökologische Kleidung.

Ingo Arzt, Wirtschaft + Umwelt

So sozialdemokratisch wie Bismarck

Laut einer repräsentativen Umfrage sind derzeit 67 Prozent der Deutschen der Meinung, Angela Merkel solle die Regierungsgeschäfte bis 2021 weiterführen. Warum? Weil Merkel für eine überlegte, von der Vernunft geleitete Politik steht. Weil Merkel besser als viele andere den Stand der gesellschaftlichen Entwicklung zu lesen weiß. Weil also die Behauptung, Merkel habe die CDU zu ihrem Schaden sozialdemokratisiert, Unfug ist. Wer diesem Klischee folgt, könnte genauso gut behaupten, Bismarck habe das Kaiserreich sozialdemokratisiert.

Während viele ihrer Vorgänger von der Kanzlerdämmerung überrascht wurden, gelingt es Merkel trotz Verzichts auf den Parteivorsitz, unangefochten zu regieren. Nach einem Jahr Groko stellen wir fest: Angela Merkel ist Kanzlerin. Ulrich Gutmair, Kulturredakteur