Einstellung: Keine Gewalt gegen Polizisten: Richter setzt auf Videobeweis

Michael Krüger sollte 10.000 Euro zahlen – wegen eines angeblichen Angriffs auf einen Polizisten. Am Ende blieb davon nicht viel übrig.

Ausschnitt aus dem taz-Video: Polizist packt einen Demonstranten

Zugriff ins Gesicht: Demonstrant Michael Krüger wird gestoppt Foto: Andrea Maestro

HANNOVER taz | Als er den Strafbefehl im Briefkasten hatte, war für Michael Krüger* klar, dass er Widerspruch einlegen würde: 10.000 Euro Strafe sollte er zahlen wegen Beleidigung, einem tätlichen Angriff auf einen Polizisten und damit verbundener versuchter Körperverletzung. Am gestrigen Mittwoch fand die Verhandlung vor dem Amtsgericht in Hannover statt. Geblieben ist von den Vorwürfen wenig. Das Verfahren wurde gegen eine Zahlung von 500 Euro eingestellt – wegen eines Videos der taz.

Die auf Twitter veröffentlichte Sequenz zeigt, wie Krüger und andere Demonstrant*innen am ersten Mai 2018 auf PolizistInnen zugehen, die vor einem Polizeibus stehen. Der Demozug zum Tag der Arbeit ist am Trammplatz vor dem Neuen Rathaus in Hannover angekommen. Die Organisator*innen der Kundgebung machen immer wieder Durchsagen, dass die Polizei keine Symbole dulde, die aus ihrer Sicht PKK-Bezug haben.

Ballons mit der Aufschrift YPG, der kurdischen Miliz in Syrien, sollen platzen.Demonstrant*innen hatten die grünen und gelben Ballons als Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Afrin an ihre Fahnen gebunden. Darin sieht die Polizei einen Verstoß gegen das Vereinsgesetz.

Kurze Zeit später nehmen die Beamt*innen eine Frau fest, die einen der Ballons gehalten haben soll. Die Polizist*innen bringen sie in einen Wagen am Rande der Kundgebung, um ihre Identität festzustellen. Unterstützer*innen haben das mitbekommen und versuchen daraufhin, zu der Frau zu gelangen.

An der Kette vorbei

Auf dem Video ist zu sehen, wie Krüger, die Hände in den Jackentaschen, schnellen Schrittes rechts an einer Polizeikette vorbei in Richtung des Polizeibusses geht. Ein Polizist streckt den Arm aus. Aber als Krüger nicht reagiert, sondern einfach weiter geht, stoppt er ihn mit Gewalt und es gibt eine kurze Rangelei.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat 2017 eine Gesetzesverschärfung beschlossen. Tätliche Angriffe auf Polizist*innen und Rettungskräfte werden seither mit mindestens drei Monaten bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Geldstrafen gibt es nicht mehr, wenn es zur Verurteilung kommt.

Ein solcher Angriff ist „eine unmittelbar auf den Körper gerichtete, feindselige Verhaltensweise“. Das könnte bereits ein Schubsen sein.

Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn eine Person bei einem Angriff auf Polizist*innen eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug dabei hat – auch dann, wenn keine Absicht besteht, dieses auch zu verwenden. Ebenso wird eine Tat mit mehreren Beteiligten bewertet.

Staatsanwältin Mona Müller-Sommerfeld wirft Krüger in ihrer Anklage vor, der 45-Jährige habe den Polizisten als „Schwein“ beleidigt, ihn angegriffen und ihm mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Als das passiert sein soll, werden Krüger und der Polizist im Bild weitestgehend von anderen Personen verdeckt.

Vor dem Amtsgericht in Hannover sagte auch Benjamin H. aus, der Polizist aus dem Video. „Polizei, stehen bleiben“, habe er wiederholt gerufen. Als Krüger dennoch weiter gegangen sei, habe er ihn erst an der Schulter gepackt und dann ins Gesicht gefasst, um ihn zu stoppen. „Daraufhin schlug mir die Person ins Gesicht“, sagte der Beamte. Die Wucht sei so groß gewesen, dass sein Funkohrstecker heraus geflogen und das Kabel gerissen sei. Der Angeklagte. habe sich in seinem Gesicht festgekrallt und einen Finger ins Auge gedrückt.

Krüger sagt der der taz jedoch, dass er den Polizisten nicht angegriffen oder geschlagen habe. „Wenn, dann nur unbewusst. Ich wollte nicht zu Boden gerissen werden.“ Das habe er schon früher einmal erlebt.

Glaubwürdigkeitsvorschuss für die Polizei

Sein Verteidiger Rasmus Kahlen ist froh, dass das Video in der Verhandlung gezeigt wurde. „Die Darstellung über die Massivität des Angriffs war vorher eine ganz andere“, sagt er. In seinem schriftlichen Bericht habe der Polizist die Geschehnisse noch drastischer geschildert – zum Nachteil seines Mandanten.

Es sei ein „Riesenproblem“, dass Polizist*innen vor Gericht einen großen Glaubwürdigkeitsvorschuss bekämen. Umso mehr, wenn sie selbst involviert seien und eigene Interessen hätten. „Sie sind in solchen Verhandlungen nicht neutral“, sagt Kahlen.

„Die Polizei konnte ihre Erzählung nicht aufrecht erhalten“, so Krüger nach der Verhandlung. „Auf dem Video ist zu sehen, dass ich nicht durch eine Polizeikette gebrochen bin“, sagt er. „Und ich bin auch nicht nett an der Schulter angefasst worden.“

Richter Michael Siegfried sah nach der Beweisaufnahme ebenfalls keinen tätlichen Angriff auf einen Polizisten mehr. Er könne bei dem Schlag nicht sagen, ob Krüger die Absicht gehabt habe, den Polizisten zu verletzen. Es könne auch eine Abwehrreaktion gewesen sein. Anders sei es mit dem Vorwurf, Krüger habe sich im Gesicht seines Gegenübers festgekrallt. Außerdem sei es der Angeklagte gewesen, der die Situation verursacht habe: „Wenn Sie stehen geblieben wären, würden wir heute nicht hier sitzen.“ Die 500 Euro Geldauflage seien deshalb angemessen.

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