Zauber des Anfangs

Huub Stevens steigt trotz der 0:1-Niederlage mit totaler Selbstsicherheit in den neuen Job ein. Schalke wirkt wie verwandelt

Graue Haare kriegt man auf Schalke, Huub Stevens macht den Job trotzdem Foto: ap

Aus Gelsenkirchen Daniel Theweleit

Womöglich wird Huub Stevens erst nach und nach klar, auf was für eine komplizierte Herausforderung er sich eingelassen hat, als er vorige Woche vorübergehend aus dem Aufsichtsrat auf den Trainerposten beim wankenden FC Schalke 04 gewechselt ist. Jedenfalls stand er am Samstagabend nach dem schmerzlichen 0:1 (0:1) gegen RB Leipzig mit weit aufgerissenen Augen vor einer Traube Journalisten, die Tonlage seiner Stimme bewegte sich irgendwo im Frequenzbereich einer Motorsirene, „ihr müsst mal sehen, wie wir die Jungs vorgefunden haben. Mit den Köpfen nach unten, enttäuscht, diese ganze Trauer“, rief der niederländische Pensionär. Seine persönlichen Pläne sahen eigentlich vor, in diesen Tagen zu einem Frühlingsurlaub nach Mallorca aufzubrechen, nun stand er mal wieder in seiner königsblauen Trainingsjacke im Stadion und stellte fest: „Das ist einer meiner schwierigsten Jobs, die ich bisher erlebt habe, und ich hoffe, dass es mein letzter ist.“ Er war umgeben von einer Aura der totalen Selbstsicherheit, der Mann kennt diesen Klub wie kaum ein anderer, und mit der Rettung von in Abstiegsnot geratenen Traditionsvereinen kennt er sich beinahe so gut aus wie James Bond mit der Rettung der Welt.

Tatsächlich ist der Zauber, den dieser Mann alleine durch seine Anwesenheit in diesem Verein wecken kann, faszinierend. „Schalke braucht Leidenschaft, Schalke braucht Kampfkraft, Schalke braucht Belebung“, sagte er, und „das sind Tugenden, die ich heute zurück gesehen habe.“ Nur einen Tag hatte er vor der Partie mit dieser zuletzt ganz und gar leblosen Mannschaft zusammengearbeitet, aber die Spieler wirkten wie verwandelt. „Der größte Einfluss kam vom Trainer selbst“, sagte der starke Torhüter Alexander Nübel, von dem immer klarer wird, dass er eine der Säulen eines neuen FC Schalke werden könnte. Weil seine Leistungen überzeugen, weil er das moderne Torwartspiel mit dem Fuß besser beherrscht als sein auf der Bank sitzender Kollege Ralf Fährmann und weil er ein klar denkender, intelligenter Analytiker ist. „Ich glaube, im Unterbewusstsein spielt vieles eine Rolle, was vorher in einer Eigendynamik drin war, was man schwierig rausbekommt“, sagte er zum Gefühl der Befreiung, das diesen Schalker Nachmittag trotz der Niederlage durchdrungen hatte.

„Ich würde das für keinen anderen Verein tun“

Huub Stevens

In der ersten Viertelstunde spielte das Team mit der ganzen Hingabe, die zuletzt unter der tonnenschweren Last der Krise verschüttet war. Die Schalker gewannen die engen Zweikämpfe, wagten Sprint- und Dribbel­duelle, halfen sich gegenseitig, „wir mussten heute viel Druck aushalten“, sagte der Leipziger Trainer Ralf Rangnick. Das etwas glückliche 1:0 durch Timo Werner (15.) war in seiner von Zufällen geprägten Entstehung allerdings typisch für einen Krisenklub wie die Gelsenkirchener. Und nach diesem Schock war auch längere Zeit spürbar, wie verletzlich dieses Gebilde noch ist. Aber im Gegensatz zu den vergangenen Wochen blieb zumindest die Defensive stabil, und irgendwann in der zweiten Halbzeit fanden sie auch im Angriff wieder zu sich. „An der Leistung heute hat vieles gestimmt“, erklärte Stevens und feierte sich auch ein bisschen selbst für seine Bereitschaft, sich dieser Aufgabe zu stellen. „Ich würde das für keinen anderen Verein tun“, sagte er und ergänzte: „Aber ich tue es aus Liebe.“

Der harte Kern der Fans in der Nordkurve ist aber noch längst nicht versöhnt. „Den Trainer rasiert, uns in Europa blamiert und Schalke nie kapiert: Söldner aussortieren!“, stand auf einem Banner. Einige Meter weiter unten hing ein dazugehöriges „Danke Domenico“-Transparent. Zwar unterstützte das Stadion das Team mit viel Hingabe, natürlich will sich niemand vorwerfen lassen, in dieser Situation, über die Sportvorstand Jochen Schneider am Tag vor dem Spiel sagte, sie sei „prekärer, als viele glauben“, den drohenden Abstieg durch Quertreibereien zu begünstigen. Aber die Zweifel am Charakter dieses von Konflikten und unterschiedlichen Interessen zerfurchten Kaders werden vorerst bleiben. „Schalke ist ein emotionaler Verein, da dürfen die Leute auch mal zeigen, dass sie enttäuscht sind“, sagte Stevens, er ist sich seiner großen integrativen Kraft bewusst. Zwar konnte Schalke 04 an diesem Tag gegen diesen starken Gegner noch keine Punkte sammeln, aber den wohl besten Spezialisten zur Abwendung der großen Katastrophe haben sie jetzt auf der Bank sitzen.