heute in bremen
: „Menschen sind aus Gewalt gemacht“

Foto: Robert Yabeck

Sergio Blanco, 47, Dramatiker, Regisseur und Performer, in Montevideo geboren, lebt seit 1992 in Paris. In Deutschland kaum beachtet, werden seine bislang 16 Dramen mit stark autofiktionalem Einschlag in Frankreich, Spanien, ganz Lateinamerika und im angelsächsischen Sprachraum gefeiert und mit Preisen überhäuft.

Interview Benno Schirrmeister

taz: Herr Blanco, warum die Gewalt feiern?

Sergio Blanco: Da muss ich erst einmal den Begriff klären: „Celebracíon“ bedeutet nicht Feier im Sinne einer Party. Es geht in meinem Text um den Lobpreis der Gewalt, darum sie in dieser szenischen Konferenz in einem rituellen Sinn zu begehen, an sie zu erinnern – sie zu zelebrieren eben.

Warum, wenn sie omnipräsent scheint?

Literatur ist die Kunst, die es möglich macht, Gewalt, die wir als Menschen erfahren und kennen, neu zu durchleben: Das Theater ist ein Ort, an dem Gewalt erscheint, und an dem es gut ist, dass sie erscheint. Denn es ist besser, sie erscheint in der Kunst als im Alltag.

Das ist sehr wahr …!

Es ist aber auch sehr wichtig, dass sie erscheint, denn: Gewalt gehört zu uns. Wir, Männer, Frauen, alle Menschen sind aus Gewalt gemacht. Kunst ist jener Raum, der erfunden wurde, um in ihm Gewalt sublimieren und sogar überwinden zu können: Nur hier wird Schönheit aus Gewalt.Man hat auch den Krieg erfunden, in dem Gewalt explodiert, furchtbar und grauenhaft. Man hat das Wirtschaftssystem erfunden, in dem Gewalt taxiert wird – entsetzlich. Kunst zu machen dagegen ist die Möglichkeit, Gewalt zu zelebrieren und Schönheit zu gewinnen.

In dem Sinne lesen Sie Baudelaire, auf den Ihr Titel „Flores del Mal“ verweist?

Absolut. Er hat die „Fleurs“, die Blumen, im Bösen gefunden. Das ist eine Idee des 19. Jahrhunderts – aber eigentlich doch auch schon der antiken Tragödie: Auf gewisse Weise hat die große Literatur in der schrecklichen Seite der Existenz stets die Schönheit entdeckt.

Sie leben seit fast 30 Jahren in Paris und nennen die Wahl des Landes eine linguistische Entscheidung. Trotzdem schreiben Sie auf Spanisch. Wie kommt’ s?

Das ist tatsächlich paradox: Die Heimat eines Menschen ist seine Sprache, hat Stendhal gesagt, und das ist auch meine Auffassung. Schon seit ich ein kleiner Junge war, wollte ich nach Frankreich ziehen, um in dieser Sprache zu leben, der Sprache Montaignes, Rimbauds, Baudelaires und Racines. Aber genau, als ich die hispanophone Welt verlassen habe, ist in mir das Bedürfnis wieder erwacht, in meiner Muttersprache zu schreiben: Ich fliehe vor Spanisch, ich mag diese Sprache nicht, ich fühle mich unwohl in ihr, sie erlaubt mir nicht zu denken – und doch ist es die Sprache, in der ich schreiben kann.

Escena España 2019: „Las flores del mal o la celebración de la violencia (Die Blumen des Bösen oder die Feier der Gewalt)“ von Sergio Blanco, Kleines Haus, Theater Bremen,

20 Uhr

Als wichtiger Aspekt Ihres Schreibens gilt die Autofiktion …?

Das ist richtig: In allen meinen Stücken arbeite ich mit meinem eigenen Leben – und verändere es, mische es mit Erfundenem: Ich nehme mein Ich – und setze es in hypothetische Umstände. Zum Beispiel habe ich mich in meinem letzten Stück „El Bramido de Düsseldorf“ nach Düsseldorf reisen lassen, wo ich nie gewesen bin. Ich habe mir aber ausgemalt, was eine Reise nach Düsseldorf sein könnte. Ich habe mir vorgestellt, dort Szenarist für eine bedeutende deutsche Pornofilmproduzentin zu sein. Auf diese Weise vervielfältige ich mein Leben.

Gilt das auch für Ihre Gewalt-Konferenz?

Die Form der autofiktionalen Konferenz nutze ich seit einiger Zeit: Rund um ein Thema, mal war es Liebe, diesmal ist es Gewalt, entwickle ich eine Konferenz von etwa einer Stunde. Ich sitze dabei immer an einem Schreibtisch und lese einen Text, mische darunter aber Fragmente meines Lebens, mit denen ich mich zu diesem Thema in Verhältnis setze. Also ist es nicht eine Vorlesung über Literatur und Gewalt. Sondern eine über Literatur und Gewalt, durchkreuzt von meiner persönlichen Erfahrung – ein szenischer Essay.