Tiere töten: Schuss aus heiterem Himmel

Bauer Klaus Seebürger schießt seine Tiere auf dem Feld. Er ist überzeugt: So bedeutet der Tod für sie am wenigsten Stress.

Der Bauer legt an, der Ochse weiß von nichts Foto: Miguel Ferraz

LEISTERFÖRDE taz | Durch den matschigen Boden ziehen sich Treckerspuren, dazwischen sind tiefe Hufabdrücke zu sehen. In einem Pferch steht ein einsamer Ochse und vergräbt die Nase im Heu. Er dreht den Kopf nach links, nach rechts und schaut dann hoch zu dem Menschen, dem er vertraut. Erst gestern hat Klaus Seebürger das Tier von der Weide, auf der es aufgewachsen ist, in diesen Pferch geführt. Seebürger steht auf einer Pyramide aus Heuballen, den Blick auf den Ochsen gerichtet. In den Händen hält er ein Jagdgewehr. Plötzlich gibt es einen lauten Knall und das Tier sackt in sich zusammen.

Kurz ist alles ganz still. Dann springt der Bauer von dem Heuballen und läuft, das Gewehr noch in der Hand, zum Pferch. Zwei weitere Männer kommen dazu und helfen ihm, das Tor zu öffnen. Der Ochse zuckt, als wollte er aufstehen. Einer der Männer kontrolliert die Augen. „Der ist tot“, versichert er.

Keine halbe Minute nach dem Schuss hängt das 600-Kilo schwere Tier kopfüber an einer Baggerschaufel. Es sieht fast noch größer aus als kurz zuvor im Stehen. Aus einem langen Schlitz von der Brust bis zum Hals läuft literweise Blut in eine Wanne, die die Männer darunterhalten.

60 Sekunden dürfen zwischen dem Schuss und dem Beginn der Entblutung vergehen: So viel wie auf einem Schlachthof zwischen dem betäubenden Bolzenschuss und dem Moment, in dem der Schlachter mit einem Messer die beiden Halsschlagadern durchtrennt oder dem Tier in die Brust sticht. Auf konventionellen Schlachthöfen ist das Akkordarbeit: Die nächsten Tiere warten draußen, während die anderen noch verbluten.

Alle zwei Wochen ein Rind

Klaus Seebürger erschießt etwa alle zwei Wochen ein Rind. Der Kugelschuss soll das Tier gleichzeitig betäuben und töten. Davor ist er sichtlich angespannt: Er spricht kaum, klettert hektisch auf die Heuballen, als wolle er den Schuss bloß hinter sich bringen. Mit dem Gewehr auf den Ochsen gerichtet wird er ganz ruhig. Obwohl hinterher alles schnell gehen muss, wirkt Seebürger gefasst, als er mit anpackt, um das tote Tier an den Bagger zu hängen. Stumm wischt er sich mit Stroh das Blut von den Händen und schaut dem Frontlader hinterher, mit dem sein Sohn, das Tier in der Baggerschaufel, zum Schlachthof fährt.

Erst jetzt kommt der Landwirt ins Erzählen. Er deutet auf eine Gruppe schwarzer Rinder mit majestätisch geschwungenen Hörnern, die etwa fünfzig Meter von dem kleinen Gatter, in dem gerade ein Ochse gestorben ist, friedlich grasen. Auerochsen seien eigentlich im 17. Jahrhundert ausgestorben, sagt Seebürger. Seit den 20er-Jahren gebe es Versuche einer Rückzüchtung. „Das sind wilde Tiere.“ Die bekomme man kaum von der Herde getrennt, geschweige denn ohne großen Stress zum Schlachter.

Keine halbe Minute nach dem Schuss hängt das 600-Kilo schwere Tier kopfüber an einer Baggerschaufel. Es sieht fast noch größer aus als kurz zuvor im Stehen

Limousin-Rinder wie den Ochsen, den er gerade eben geschossen hat, sind für ihre Ruhe und Ausgeglichenheit bekannt – und für ihr saftiges Fleisch. In der Niedersächsischen Elbtalaue, nahe der innerdeutschen Grenze, hält Seebürger seine 800 Rinder auf über 1.000 Hektar Land. Die Tiere leben ganzjährig im Freien. „Du schaust dem Tier in die Augen und musst abdrücken“, sagt Seebürger. „Schön ist das nicht.“

Der Ochse, den Seebürger gerade geschossen hat, ist schon verkauft. Auf einer Website ist er zum „Teilen“ ausgeschrieben. Kund*innen können Pakete mit Steaks, Würstchen und Hack bestellen. Auch besondere Teile wie Zunge, Herz und Hörner stehen zum Verkauf.

Der Mann, der die Website betreibt, steht im Matsch neben dem Pferch und heißt Arne Bläsing. Während des Schusses hält er sich die Ohren zu. Seit 2017 verkauft Bläsing mit seinem Unternehmen „Elbwild“ Fleisch aus dem Norden in ganz Deutschland: zunächst Wild, das er und befreundete Jäger selbst erlegt hatten, seit einem Jahr auch Seebürgers Rinder.

Erst wenn ein Tier ganz verkauft ist, melden Seebürger und Bläsing den Schuss an: Jedes Mal muss das zuständige Veterinäramt das genehmigen. Ein*e Tierärzt*in macht vor der Tötung die Lebendbeschau, stellt vor Ort sicher, dass Schuss und Entblutung rechtmäßig verlaufen und kon­trolliert später das Fleisch.

Bei jedem Schuss dabei

Bläsing ist bei jedem Schuss dabei. Ihm ist wichtig zu wissen, wo das Fleisch herkommt. Die Pakete fährt er in Hamburg und Umgebung selbst aus. „Wir verwerten geschätzt 95 Prozent des Tiers“, sagt Bläsing. Die Catering-Firma „Alsterfood“, die Schulen und Krankenhäuser mit regionalem Essen beliefert, macht aus den Knochen Suppe. Zunge und Herz friert Bläsing ein, um sie für Kund*innen bereitzuhalten, die genau danach fragen.

„Wir haben eine Verantwortung für die Tiere, auch im Tod“, sagt Bläsing. Um sie zu töten käme nur der Kugelschuss infrage, weil er sie vor jedem Stress bewahren möchte. Deshalb können Seebürger und er manchmal gar nicht schießen: Wenn es stürmt und die Rinder unruhig sind, sollen sie nicht sterben. Auch wenn sich kein Tier von der Herde trennen lässt, warten sie noch einen Tag ab. „Die anderen grasen unbeirrt weiter, wenn neben ihnen ein Tier zusammenbricht“, sagt er. Zu hoch sei aber die Gefahr, dass der Schuss daneben geht und andere Tiere – womöglich unbemerkt – an den Verletzungen sterben.

Weil die Landkreise die Anträge einzeln bearbeiten gibt es keine offiziellen Zahlen dazu, wie viele Bäuer*innen diesen Weg gehen, um ihren Tieren Stress zu ersparen. Das Landwirtschaftliche Bildungszentrum im Niedersächsischen Echem bietet einen der wenigen Kurse für den Kugelschuss an. Zwei bis drei Mal im Jahr machen dort etwa dreißig Bäuer*innen den entsprechenden Lehrgang.

„Gegen den Preis von Fleisch aus Massentierhaltung kommt das nicht an“, sagt Bläsing. Ein Kilo „Elbwild“-Rindfleisch kostet 28 Euro. Aldis „Bio Rinder-Gulasch“ gibt es für knappe zwölf Euro das Kilo.

Verteidigung des Schlachthofs

Jemand, der den Kugelschuss kritisch betrachtet, ist Martin von Wenzlawowicz, Tierarzt und Mitbegründer der Tierschutz-Beratungsstelle „bsi Schwarzenbek“ bei Hamburg. „Wir schlachten in Deutschland dreieinhalb Millionen Rinder im Jahr. Die können wir nicht alle auf der Weide erschießen“, sagt von Wenzlawowicz. Es gebe Ämter, die den Kugelschuss gar nicht erlauben, weil sie nicht das Personal hätten, um bei jedem Schuss dabei zu sein, oder zu viele schlechte Erfahrungen damit gemacht hätten. „Wenn der Schuss nicht sitzt, ist das nicht besser als ein Tod auf dem Schlachthof.“

Überhaupt sei der Schuss nur berechtigt, wenn es nicht anders ginge, sagt von Wenzlawowicz. Rinder seien eigentlich Haustiere und könnten sich, selbst wenn sie das ganze Jahr im Freien leben, an Menschen gewöhnen. Damit würde der Stress vermindert, den der Schlachthof für die Tiere bedeute. Wenn er vernünftig durchgeführt würde, sei der Bolzenschuss auf dem Schlachthof genauso sicher wie der Kugelschuss auf der Weide.

„Würden wir sie nicht züchten, gäbe es die Tiere nicht mehr“, sagt Bauer Seebürger und deutet auf die Auerochsen, die sich im kalten Wind eng aneinander schmiegen. Tatsächlich machen die Rinder, die er selbst schießt, nur einen kleinen Teil der Tiere aus, die er verkauft. Die anderen muss er auf Bio-Schlachthöfen töten lassen – mit Bolzenschuss und Entblutung. Zum Selberschießen sind es einfach zu viele.

Bläsing ist als passionierter Jäger fast täglich im Wald – den Schuss auf der Weide überlässt er aber lieber Seebürger. Auch ihm fällt es schwer, dem Tier in die Augen zu schauen. „Vor dem Schuss auf der Weide versuche ich mich zu drücken“, sagt Bläsing. Er möchte „Elbwild“ zum Sommer hin vergrößern und Seebürger mehr Rinder abkaufen, die dann nicht auf dem Schlachthof sterben müssen.

Der Ochse, der vor einer Stunde gestorben ist, hängt längst im Schlachtbetrieb. Dort häutet ein*e Schlachter*in das Tier, entnimmt die Eingeweide, viertelt es und bringt den Kadaver ins Kühlhaus. Etwa zwei Wochen lang wird das Fleisch dort reifen, bevor es als „Dry-Aged-Beef“ seinen Weg zu den Kund*innen findet. Vom Ochsen bleiben eine blutgetränkte Mulde im Stroh und die letzten, matschigen Hufabdrücke.

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