Betreuer in der Not I: Die Unsichtbaren

Gesetzliche Betreuung soll Menschen mit Einschränkung ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Doch die Betreuer schlagen schon lange Alarm.

Ein Mann und eine Frau sitzen nachdenklich an einem Tisch in einer aufgeräumten Wohnung

Die gesetzliche Betreuerin Juliane Friedrich zu Gast bei einem Klienten in Berlin-Marzahn Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Zu wenig Geld für zu viel Arbeit: Die Lage der Betreuungsvereine ist so dramatisch, dass einige bereits schließen mussten. So gingen etwa im Betreuungsverein des Sozialverbands VdK in Reinickendorf Ende Dezember die Lichter aus. Die Vorsitzende ihrer Interessengemeinschaft in Berlin, Wencke Pohle, kennt die jahrelange finanzielle Schieflage: „Viele Betreuungsvereine überleben nur durch die Querfinanzierung in großen Trägern.“ Das Problem: Die Vergütung für BetreuerInnen wurde seit 14 Jahren nicht angepasst. Eine Betreuung, in deren Mittelpunkt die Selbstbestimmung der Klienten steht, sei mit den gesetzlich festgelegten Stunden nicht zu machen. „Für viele Vereine ist das existenzbedrohend“, so Pohle. Eine Reform der Vergütung soll nun Abhilfe schaffen.

Gesetzliche Betreuung ersetzt seit über 25 Jahren die Entmündigung und soll Menschen mit psychischer oder geistiger Behinderung zu ihren Rechten verhelfen. Betreuer sollen Ansprüche gegenüber Behörden, Renten- und Krankenkasse wahrnehmen und Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.

Ihre schlechte Situation ist kein Berliner Phänomen, aber die Großstadt trifft es besonders. Eigentlich sieht das Bundesgesetz eine ehrenamtliche Betreuung vor – in der Regel durch Verwandte. „Im Stadtstaat Berlin mit seinen vielen Zugezogenen ist das aber gar nicht möglich“, so Pohle. Die Zahl der gesetzlichen Betreuungen durch Familienangehörige geht seit Jahren zurück. Insgesamt laufen in Berlin laut Justizverwaltung rund 55.000 Verfahren. Doch während im Bundesschnitt über die Hälfte ehrenamtlich begleitet werden, sind es in Berlin nur ein Drittel.

Den größten Teil übernehmen selbstständige Berufsbetreuer. Auch sie klagen seit Jahren über die Vergütung: Ihr Bundesverband hat ausgerechnet, dass ihnen nach Abzug aller Ausgaben rund 1.500 Euro zum Leben bleiben. Und das in einem Job, der neben umfassenden juristischen Kenntnissen auch pädagogische Fertigkeiten erfordert. Viele würden den relativ geringen Verdienst durch Abstriche bei der Rentenvorsorge und Arbeitszeitausweitung ausgleichen, sagt Walter Klitschka, Berliner Beauftragter im Bundesverband freier Berufsbetreuer. Nicht selten nähmen freie Berufsbetreuer mehr als die branchenüblichen 40 Klienten an.

14 Jahre ohne Erhöhung

Die 18 Berliner Betreuungsvereine übernehmen auch die Schulung und Beratung von Ehrenamtlichen. Weil sie diese Aufgabe zum Teil selbst finanzieren müssen, ist ihr Spielraum noch geringer. Die Arbeit werde außerdem immer komplexer, sagen die Interessenvertreter mit Blick auf die Sozialgesetzgebung der vergangenen zwanzig Jahre. Zwischen zwei und viereinhalb Stunden monatlich seien für langjährige Klienten vorgesehen – zu wenig angesichts der Vielzahl von Anträgen und Behördengängen. Gleichzeitig verlange der Wandel in der Be­treuungskultur, mehr auf den Klienten einzugehen und partizipativ zu arbeiten. „Das ist sehr zu begrüßen, dafür brauchen wir aber auch Zeit“, sagt Wencke Pohle.

Praxis Gesetzliche Betreuung kann gerichtlich angeordnet werden, wenn ein Mensch aufgrund psychischer Erkrankung, körperlicher, seelischer oder geistiger Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder in Teilen nicht mehr selbst regeln kann – etwa nach einer Demenzerkrankung oder einem schweren Unfall. Die Entmündigung volljähriger Personen wurde 1992 abgeschafft.

Ziele Betreuer sollen für ihre Klienten Ansprüche gegenüber Behörden, Kranken- oder Rentenkasse wahrnehmen sowie Ver­mögensangelegenheiten verwalten. Die Betreuung kann sowohl ehrenamtlich Familienangehörigen oder auch einem Betreuungsverein oder freien Berufsbetreuern übertragen werden.

Kritik Gesetzliche Betreuung sollte grundsätzlich eine freiwillige Unterstützungsleistung sein, finden Kritiker. Bisher kann die Betreuung auch von Behörden oder Angehörigen beantragt werden und wird in Ausnahmefällen sogar gegen den Willen des zu Betreuenden angeordnet. Der Betreuer hat aber grundsätzlich den Wünschen des Betreuten zu entsprechen.

Nach 14 Jahren soll es nun die erste Anpassung der Vergütung geben. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht statt der bisherigen Stundenvorgaben Fallpauschalen und eine rund 17 Prozent höhere Vergütung vor. So sollen „die Finanzierung der unverzichtbaren Arbeit der Betreuungsvereine in Zusammenarbeit mit den Ländern gestärkt und für eine angemessene Vergütung der Berufsbetreuerinnen und -betreuer Sorge getragen werden.“

Denen geht die Reform nicht weit genug. Der geänderte Aufwand sei nicht ausreichend berücksichtigt, heißt es etwa von der Interessengemeinschaft der Berliner Betreuungsvereine. Insbesondere langjährige Klienten und Menschen in ambulanter Unterbringung seien mit den neuen Fallpauschalen schlechter gestellt.

Auch hinter den Erwartungen der freien BerufsbetreuerInnen bleibt die Reform weit zurück: Deren Berechnung hatte einen Erhöhungsbedarf von mehr als 50 Prozent ergeben. Die anvisierten 17 Prozent, so heißt es vom Bundesverband der BerufsbetreuerInnen, würden den Sterbeprozess der Betreuungsvereine nur verzögern und könnten nicht verhindern, dass sich selbstständige Betreuer in lukrativere Jobs zurückziehen.

„Wir betreuen die Menschen, für die zwar Inklusion gefordert wird, die aber trotzdem am liebsten unsichtbar bleiben sollen“, resümiert Berufsbetreuer Walter Klitschka. „Deshalb wird auch unsere Arbeit einfach nicht gesehen.“

Anmerkung: Wir hatten zunächst geschrieben, dass für den Beruf des gesetzlichen Betreuers ein Hochschulstudium erforderlich sei. Das ist nicht richtig. Allerdings dürfen Betreuer laut Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz nur mit abgeschlossenem Studium den höchsten Stundensatz abrechnen.

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