heute in bremen
: „Debatten werden kurzatmiger“

Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Eva Quante-Brandt, 59, ist Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz in Bremen.

Interview Jasmin Johannsen

taz: Frau Quante-Brandt, alle Wissen-schaftler*innen sind der Wahrheit verpflichtet. Was also ist „Fake Science“?

Eva Quante-Brandt: Die Diskussion um die falschen Grenzwerte der Lungenärzte ist ein gutes Beispiel. Sie hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass Wissenschaftler ihre Forschung plausibel machen. Alle haben darüber debattiert. Dann stellte sich heraus, dass die Werte Ergebnis falscher Berechnungen waren. Es gab natürlich auch früher schon Fehler, aber das Internet hat den Diskurs sicher verändert. Öffentliche Debatten werden dadurch kurzatmiger. Gerade da brauchen wir substantielle Debatten, mehr Zuhören und mehr wirklichen Austausch.

Fakten und Meinung vermischen sich gerade im Internet stark. Wie könnten Forschungsergebnisse klarer kommuniziert werden?

In jeder öffentlichen Debatte gibt es immer auch Fake Science oder einen Experten für die eine Meinung und einen für das genaue Gegenteil. Darum ist hier die Wissenschaft gefordert, sich öffentlich zu artikulieren. Sie muss die eigenen Wahrheitskriterien plausibel und nachvollziehbar machen. Natürlich gehört zu jeder Debatte der Pluralismus von Meinungen. Und natürlich können wir Laien wissenschaftliche Fachfragen nicht endgültig entscheiden. Aber in Grundfragen, wie zum Beispiel dem Klimawandel, der Sozialpolitik oder der Gleichberechtigung sind die Bürgerinnen und Bürger schon in der Lage, die Qualität der Argumentation zu erkennen.

Welche ethische Verantwortung tragen Wissenschaftler*innen?

Impulsvortrag und Podiumsdiskussion zur Verantwortung der Wissenschaft, 19 Uhr, im Foyer des Theaters am Goetheplatz

Wir brauchen eine Ethik der Verantwortung. Natürlich soll ergebnisoffen geforscht werden. Aber wir brauchen eine Ethik, die immer wieder fragt, was eine Entwicklung für uns Menschen bedeutet. Bei den Atomkraftwerken und erst recht bei den Atombomben sieht man ja, dass wir schon die Grenze erreicht haben, die technisch eine Selbstvernichtung der Menschheit möglich macht. Wir müssen auch bei der Künstlichen Intelligenz alles tun, damit wir die Kontrolle behalten. Das gilt genauso für die Medizin, für die Gentechnik, für den Umgang mit Mensch und Tier.

Müssen sich Wissenschaftler*innen stärker in den politischen Diskurs einmischen?

Ich finde schon. Wir wenden als Gesellschaft große Mittel auf, um Forschung möglich zu machen. Also muss die Wissenschaft der Gesellschaft auch etwas zurückgeben. Gerade weil viele Menschen die Zeiten als unsicher erleben, ist die Wissenschaft aufgerufen, Stellung zu beziehen und zwar plausibel und verständlich.