Die andere Seite des Humoristen

Das Hamburger Ernst-Barlach-Haus zeigt Wilhelm Busch als Maler. Die Malerei war dem satirischen Zeichner eine Herzensangelegenheit – aber auch eine unglückliche Liebe

Ähnlichkeit mit Flächenaufteilungen von Comics: ein Sammelbild Buschs mit neun Studien Foto: Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur & Zeichenkunst, Hannover

Von Hajo Schiff

Es ist fast ein Bild einer Nahtoderfahrung: Am hinteren Rande eines braungrün düsteren Bildraumes ist ein kleiner Durchblick ins Himmelslicht zu sehen. Doch als 1895 diese kleine, als letzte der 70 Leihgaben der Ausstellung im Hamburger Ernst-Barlach-Haus gehängte Ölskizze entstand, hatte Wilhelm Busch noch 12 Jahre zu leben. Doch er malte nicht mehr.

Ohnehin hatte der Illustrator und Erfinder humoristischer Bildergeschichten seine etwa 1.000 Gemälde lebenslang vor der Öffentlichkeit verborgen. Erst nach seinem Tod 1908 waren einige der teils an der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts orientierten, teils geradezu expressiv-modernen Bilder in einer Retrospektive zu sehen.

In dieser Münchner Gedächtnisausstellung fand der 29-Jährige, damals seine ersten Ausstellungserfolge feiernde Paul Klee vieles „durchaus gut“, besonders die „Kerle mit roten Jacken“. Und von denen gibt es viele: Immer wieder hat Busch in seinen Genreszenen, vor allem aber in den Landschaften rot gekleidete Staffagefiguren verwendet. Dabei ist Rot durchaus keine typische Jackenfarbe für die dargestellten Bauern. Vielmehr war „Rotröcke“ seit der Mitte des 17. Jahrhunderts eine übliche Bezeichnung für die Soldaten des britischen Empires, mit dem das Königreich Hannover noch bis 1837 in Personalunion verbunden war.

Bewunderung für alte Niederländer

Doch obwohl 1832 in Wiedensahl geboren, 50 Kilometer westlich von Hannover, wird Wilhelm Busch nicht mehr allzu viele englische Soldaten bewusst gesehen haben. Und dass die alten Uniformjacken vom Landvolk aufgetragen wurden, ist kaum wahrscheinlich. Rotjacken auf der Wiese und im Wald sind also eher als formale Erfindung anzusehen, eine kontrapunktische Figur jenseits jeglichen Realismus, von dem die übrigen Interieurs und Porträts durchaus durchdrungen sind.

Die Malerei war für Wilhelm Busch eine Herzensangelegenheit und eine große, allerdings unglückliche Liebe – in einem Brief schrieb er gar, seine Bilder seien „G’schmier“. Dabei hatte er schon mit 19 Jahren gegen den Wunsch seines Vaters ein Maschinenbaustudium abgebrochen und war an die Kunstakademien gegangen: Erst nach Düsseldorf, dann nach Antwerpen und schließlich nach München. Er bewunderte die alten Niederländer Rubens, Adriaen Brouwer, David Teniers und besonders Frans Hals, dessen bewegte Pinselschrift ihn nie mehr losließ. Krankheit und tiefe Selbstzweifel führten aber zum Abbruch seiner Studien. Ab 1858 wurde er dann der bis heute weltbekannte satirische Zeichner: In rund 200 Übersetzungen liegt das 1865 veröffentlichte „Max und Moritz“ vor.

Wilhelm Busch wird wohlhabend, lebt meist in seinem Heimatort, aber er reist auch viel und hält Kontakt zu Künstlerkreisen. So ist er mit den Münchner Malerstars Franz von Lenbach und Friedrich August Kaulbach befreundet. Und nebenbei malt auch er selbst immer wieder: Repräsentative Portraits und Skizzen von Kindern und Bauern oder eine neoholländische Genreszene wie die „Rauferei auf der Kirchweih“, dazu Naturstudien und vielfach norddeutsche Landschaften, oft bei schlechtem Wetter.

Interessant sind auch die Sammelkompositionen, bei denen mehrere Motive und Perspektiven direkt aneinanderstoßen. Das hat etwas von Inventarisierung, von einer Referenz auf historische Bilder eines Galeriekabinetts, gar Ähnlichkeit mit den Flächenaufteilungen von Comic-Erzählungen – und bleibt doch ein vages, wenn auch sehr genau ausgeführtes Experiment.

Heute fasziniert das Spätwerk am stärksten, wird doch das Moderne gern im Skizzenhaften bis hin zur Ab­straktion gefunden. Denn so oft diese Malerei auch durch Vorbilder beschreibbar ist, am Ende verselbständigt sich der Pinselstrich ins Freie: Um 1870 assoziieren die Regen beschreibenden Farbstriche noch historische englische Landschaftsmalerei, zehn Jahre später zeigt sich schon eine Art Expressionismus, bei dem ein in Gewitterstimmung leuchtender Ast wie ein Blitz anmutet. Immer leichter, immer abstrakter wird Wilhelm Buschs Pinselschrift, bis am Schluss die Landschaft zur Höhle wird und eine kleine rote Figur letztmals ins ferne Licht schaut.

„Herzenssache – Wilhelm Busch malt“: bis 10. Juni, Ernst-Barlach-Haus, Hamburg. Kuratorenführung „‚Versteckformate‘ – Was Busch verborgen hielt“: Di, 19. 3., 18 Uhr