Kommentar Tunesien: Eine Frage der Gerechtigkeit

In Tunesien hat die Wahrheitskommission ihren Bericht vorgelegt. Ein wichtiger Schritt, dem aber Konsequenzen folgen müssen.

Beji Caid Essebsi hebt die Hand

Vertreter der alten Eliten: Tunesiens Staatschef Beji Caid Essebsi Foto: dpa

Die tunesische Wahrheitskommission, die „Instanz für Wahrheit und Würde“ (IVD), hat ihren Abschlussbericht vorgelegt. Das nordafrikanische Land schreibt damit Geschichte. Es ist der einzige Fall, in dem nach dem „arabischen Frühling“ versucht wurde, die dunkle Vergangenheit aufzuarbeiten. Dies war nicht immer leicht. Die IVD musste sich über viele Widerstände in der Politik hinwegsetzen. Doch letztendlich hat sie ihre Arbeit abgeschlossen. Doch das ist ein wichtiger Schritt, aber eben nur ein erster Schritt.

Denn die Opfer wollen mehr als die Wahrheit. Sie haben ein Recht auf Wiedergutmachung. Dabei geht es erst in zweiter Linie um finanzielle Entschädigung, die an sie ausbezahlt werden soll. Es geht um Gerechtigkeit, um richterliche Schritte gegen die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen und horrenden Korruption, die oft – das zeigt der Fall von Präsident Béji Caid Essebsi – noch heute wichtige Funktionen innehaben.

Doch nicht nur die Justiz ist gefragt, sondern auch die Politik. Die Regierung hat jetzt ein Jahr Zeit, auf den Bericht und die darin aufgeführten Vorschläge zu reagieren. Es braucht Reformen im Sicherheits- und Justizapparat, damit sich solche Menschenrechtsverletzungen nicht wiederholen können. Außerdem sind Maßnahmen nötig, damit die Korruption, die in vielen Fällen die Ungerechtigkeit des Regimes noch zusätzlich verschärfte, endgültig ausgemerzt werden kann.

Und der Fall von Staatschef Essebsi zeigt, dass Tunesien eine generationelle Erneuerung braucht. Es kann nicht sein, dass belastete Veteranen des alten Regimes die künftige Entwicklung weiterhin bestimmen.

Tunesien ist bisher mit allen Licht- und Schattenseiten der Entwicklung seit der Revolution 2011 ein Vorbild in der arabischen Welt. Das Geburtsland des „arabischen Frühlings“ steht vor einem entscheidenden Moment: Die Art und Weise, wie Regierung und Parlament auf den Bericht reagieren, ist ein wichtiger Test dafür, ob sie es mit Demokratie und Menschenrechten ernst meinen.

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

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