Debatte EU-Urheberrechtsreform: Filter sind eine Chance, keine Zensur

Manipulieren uns Google und Facebook? Merken würde das niemand. Die EU-Urheberrechtsreform kann die Chance sein, uns zu wehren.

Teilnehmerin einer Demonstration unter dem Motto ·Save the Internet· guckt in ihr Handy

Hunderttausende sind gegen die EU-Urheberrechtsreform auf die Straße gegangen Foto: Unsplash/Markus Spiske

Haben Google, Facebook oder Twitter die Debatte über die EU-Urheberrechtsreform manipuliert, in dem sie Timelines und Suchtreffer in ihrem Sinne geändert haben? Diese Frage ist fundamental für die Zukunft Europas.

Hunderttausende sind gegen die EU-Urheberrechtsreform auf die Straße gegangen, mehr als fünf Millionen haben eine Petition dagegen unterschrieben, im EU-Parlament zeigten Politiker*innen, dass sie ringen, kämpfen, Leidenschaft haben. Das war gut für die Demokratie, auch wenn viele im Netz die Reform für falsch halten.

Gleichzeitig ist ein Gedanke bei dieser Auseinandersetzung ziemlich gruselig: Die Debatte im Netz war abhängig von der digitalen Infrastruktur der Konzerne, über die debattiert wird. Sie könnten massiven Einfluss auf uns alle genommen haben. Natürlich nicht, indem sie unliebsame Meinungen einfach löschen. Sondern durch eine leichte Verschiebung dessen, was wir an Inhalten prominent im Netz finden. Das würde niemand merken. Und alle fühlten sich super informiert.

Das soll nicht heißen, dass hier irgendwer ein Bot ist. Die Proteste gegen die EU-Urheberrechtsreform waren absolut berechtigt. Eine Menge Menschen haben sich damit beschäftigt, wer das Netz kontrolliert. Genau davon braucht es noch viel mehr. Das ändert aber nichts daran, dass die Gefahr der Manipulation der öffentlichen Meinung durch das Silicon Valley real ist.

Manipulation durch Tech-Konzerne

Große Macht ohne Kontrolle wird missbraucht, das ist ein politisches Naturgesetz. In ganz Europa gibt es niemanden, keine Politiker*innen, keine Behörde, keinen Geheimdienst, keinen Staat, der die Kompetenz oder Befugnis hätte, zu kontrollieren, ob Google oder Facebook ihre Technik nutzen, um uns alle politisch in ihrem Sinne zu beeinflussen. An der Totalüberwachung unsere Lebens stört sich ja ohnehin niemand mehr.

Der Einfluss der Tech-Konzerne ist mit herkömmlichen Medien nicht vergleichbar: Da sitzen Journalist*innen in Medienkonzernen oder Rundfunkanstalten, jeder kann sich informieren, wie sie arbeiten, sie sind permanent Shit- oder Candystorms ausgesetzt. Silicon Valley dagegen kann uns manipulieren, bevor wir anfangen zu denken, indem es unsere Wahrnehmung von Argumenten beeinflusst. Der Netzpionier Jaron Lanier hat es in der Zeit ironisch ausgedrückt: „Das Schöne ist, dass Ihr nicht wahrhaben wollt, wie Ihr manipuliert werdet.“

Aus diesem Grund würde ich die 5-Millionen-Unterschriften-Petition „Stoppt die Zensurmaschine – Rettet das Internet!“ gegen das EU-Urheberrecht niemals unterschreiben: Das suggeriert, das Internet sei ein Hort der Meinungsfreiheit, der von gemeinen Politikern attackiert wird. YouTuber wie LeFloid unterstützten die Petition und verbreiteten hysterische Warnungen: Er müsse ja künftig bei jedem Bild und jedem Sound nachweisen, dass er die Rechte daran habe, wettert er. Der Arme. Als ob man heute einfach so durch Copyright geschütztes Material verwenden dürfte. Künftig ist bei Verstößen eben die Plattform mit haftbar und nicht nur, wer den Content generiert.

Die Zensur, von der LeFloid und andere sprechen, ist eine, die quasi nebenbei durch den politisch erzwungenen Einsatz von Uploadfiltern entstehen könnte: Mein Urlaubsvideo wird nicht hochgeladen, weil im Hintergrund „Last Christmas“ läuft, dafür hat die Plattform keine Lizenz, also filtert sie das ganze Video automatisch weg. So das Szenario. Abgesehen davon, dass ein „Last Christmas“-Boykott eine Plattform sehr sympathisch machen würde: einfach Ton stumm schalten, das Video mit „Die EU ist rattendoof“ untertiteln – niemand würde was wegfiltern. Wo ist hier Zensur?

Uploadfilter als Chance

Sollten die Filter zu viel sperren, wäre das ein technischer Defekt, keine Zensur. Zensur herrscht, wenn Menschen für mutige Sätze gegen die Mächtigen Berufsverbot bekommen oder in den Knast wandern. Bei uns darf LeFloid Politiker als „Heuchler und Lobbyisten“ und „Polit-Dullis“ beschimpfen und jungen Leuten suggerieren, man unterdrücke ihren Willen, wenn Parlamentarier aus 28 EU-Staaten die in zehn Sekunden unterschriebene Zensurmaschinen-Petition nicht mal schnell umsetzen. Nachdem sie fünf Jahre um einen Kompromiss gerungen haben.

Ich schlage vor, in den Uploadfiltern ganz pragmatisch eine Chance zu sehen. Die Macht über künstliche Intelligenz und unsere Timelines liegt doch eh schon im Silicon Valley. Uploadfilter wären die ersten Algorithmen, die unter Beobachtung der Netzgemeinde stünden, statt sich ihnen willenlos zu unterwerfen. Daraus könnte ein neues Bewusstsein entstehen, ein Bedürfnis, auch das Bisherige unter öffentliche Kontrolle zu stellen. Möglich wäre auch, solche Filter mit staatlicher Förderung in Europa zu entwickeln und kleine Plattformen zur Verfügung zu stellen.

Abgesehen davon priorisiert die Urheberrechtereform, dass Plattformen Lizenzen erwerben sollen und erst dann Uploadfilter einsetzen. In einer alten Fassung war es andersherum – die Änderung ist ein Erfolg des Protests. Der war also nicht umsonst, auch wenn YouTuber wie LeFloid das jetzt behaupten. Zu deren Geschichte gehört auch, dass sie nicht Vorkämpfer der Freiheit sind. Sondern ihr Geschäftsmodell verteidigen: LeFloid lebt vom Remix der Recherchen und Werke anderer, klebt Werbung dran und verdient eine Menge Geld damit. Das ist legitim, macht aber noch keine neue Bürgerrechtsbewegung.

Wer für Freiheit im Netz kämpfen will, der muss dafür kämpfen, Facebook und Google zu zerschlagen und ihre Algorithmen als systemkritische Infrastruktur zu überwachen. Das bräuchte sehr viel politische Courage und einen politische Lohn: Wähler*innen, die das Internet zurückfordern. Die Keimzelle dafür könnte der Protest gegen die Urheberrechtsreform sein. Mit einem LeFloid, der für die Zerschlagung, Besteuerung und Kontrolle von YouTube schmettert. Und das auf YouTube.

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Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.

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