berliner szenen
: Kommt Zeit, kommt Asymptomat

Der Neurologe hätte Heinz Erhardt heißen können, hieß aber Dr. Leonhard Schmidt (Name von der Redaktion geändert). Er besaß dieselbe preußische Schrulligkeit und das schalkhafte Lächeln des lange verstorbenen Komikers. Angegraute Haare in einer zeitlos zu nennenden Fünfziger-Jahre-Frisur. Starke, dicke Brille. Rötlich schimmernde Haut. Er war mit Radiologen befreundet, wie er erzählte, die ihm nach Feierabend ihr neues MRT vorführten, und da hatte er sich zur Probe in die Röhre gelegt. Dabei kam raus, er hatte auch einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule, merkte aber nichts davon. Asymptomisch nannte er das, ein Zustand, um den ich ihn sofort beneidete. Der für mich aber auch erreichbar sei, wie er sagte. „Kommt Zeit, kommt Asymptomat.“

Ich dachte an die Geschichte, die mir ein Biophysiker auf einer Wohnungseinweihungsparty erzählt hatte, auf der noch ein anderer Biophysiker war, ich weiß aber nicht, ob die Geschichte stimmte: So ein MRT ist hochmagnetisch, wenn in Betrieb, was wohl regelmäßig Rollstuhlfahrer in den Abgrund zieht, respektive zieht es mit aller Macht ihre Rollstühle an, und sie klemmen dann im Röhreneingang, Pech für diejenige, die drinnen ist. Die Geschichte handelte aber von einer jungen Engländerin, die vergessen hatte, ihr Zungenpiercing zu entfernen (die MTAs, die medizinisch-technischen Assistentinnen im vornehmen Grün, hatten es übersehen), woraufhin der Magnet ihre Zunge unmittelbar stark nach hinten in den Hals zog, unfassbar schnell.

Der Magnet war so mächtig, dass sie sofort erstickt ist an ihrer eigenen Zunge bzw. an ihrem Zungenpiercing. Aus diesem Grund bekommt man einen Alarmknopf in die Hand gedrückt, bevor man in die Röhre geschoben wird, sagte nun Dr. Schmidt. Kann nur sein, schloss ich, dass es da schon zu spät ist.

René Hamann