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Auferstehung in den Backstuben

Ein nach Natursauerteig duftender Wind weht wieder durch die Stadt. Er kommt auch, aber nicht nur, von traditionellen Bäckern. Ein Besuch bei vier Adressen führt zu guten Broten, Hot Cross Buns und Osterlämmern

Es muss nicht immer Lamm zu Ostern sein: Aus Berlins Backstuben kommen neue und überraschende Kreationen Foto: STPP/imago

Von Lisa Shoemaker

An einem kalten, klaren Märzmorgen auf dem Weg zu Florian Dombergers Brot-Werk in Moabit: Im U-Bahnhof Turmstraße bietet ein Aufbäcker seine Waren feil, zwei Häuser weiter ein Backshop, in der Krefelder Straße sehe ich durch die geöffnete Tür des Spätis eine Kiste Industrieschrippen. Die Zahl der traditionell handwerklich arbeitenden Bäckereien ging in den letzten Jahrzehnten zwar kontinuierlich zurück. Doch Bäcker sind weder ausgestorben noch gekreuzigt worden. In letzter Zeit weht wieder ein nach Natursauerteig duftender Wind durch die Berliner Backstuben. Florian Domberger zum Beispiel verarbeitet ausschließlich Sauerteig, sogar bei den buttrigen Croissants.

Der oft vermisste Duft kommt auch, aber nicht nur, aus dem traditionellen Bäckerhandwerk. Im Frühjahr 2018 etwa schloss Bäcker Kasper seine handwerkliche Bäckerei in der Gräfestraße. Über Monate fand er keinen Nachfolger. Keine zwei Kilometer entfernt saßen Luke Smetham und Anders Alkaersig in ihrer kleinen Hinterhofbackstube. Der in Australien aufgewachsene Brite und der Däne hatten 2017 gemeinsam Albatross gegründet und suchten größere Räumlichkeiten. Erst eine Anzeige auf Immoscout macht sie auf den Laden im Gräfekiez aufmerksam. Nun lebt im alten Laden die Tradition im neuen Gewand weiter.

„Heute sind die Lehrlinge wieder motivierter“, sagt Christa Lutum, Obermeisterin der Berliner Bäckerinnung, die seit 743 Jahren besteht. War früher Bäcker vielleicht nur eine Verlegenheitslösung bei der Berufswahl, weil es anderswo nicht klappte, scheint das Metier wieder an Attraktivität zu gewinnen. Christa Lutum ermutigt ihre Lehrlinge, sich auszuprobieren. Eine ihrer Azubis hat eine vegane Cassis­tarte entwickelt, die so gut ist, dass sie ins Sortiment aufgenommen wurde.

Die vier Bäckereien, die ich besuche, haben alle in den letzten drei Jahren aufgemacht. Die Biobäckermeisterin Christa Lutum in der Giesebrechtstraße in Charlottenburg führt alles vom Brot bis Kuchen, jedoch verarbeitet sie nur Dinkel und Roggen, keinen Weizen. Ava Celik und Florian Domberger haben zwar beide ein kleines Sortiment, doch während bei Domberger ein Schild im Laden darauf hinweist, dass alles Gluten enthält, ist bei Celik, der einzigen Berlinerin in der Runde, Gluten absolut tabu. Und Albatross bedient sich international, da liegt französisch inspiriertes Natursauerteig-Baguette neben dänischen Plunderstücken. Gemeinsam ist ihnen, dass es in ihren Läden nicht nach Backen, sondern nach Brot duftet. Das liegt am Natursauerteig, den sie verarbeiten.

Auf dem Naschmarkt in der Markthalle Neun dreht sich alles um Kuchen und Torten, Schokolade und Pralinen, Bonbons, Marshmallows und viele andere Süßigkeiten. Im NaschLabor erfahren die Besucher mehr über Zucker und Zucker-Alternativen. Hier wird gezeigt, wie mit Früchten gesunde Süßigkeiten entstehen. Berliner Chocolatiers präsentieren zuckerfreie Schokolade aus 100 Prozent Kakao vor. Kinder können Leckereien in der NaschWerkstatt selber herstellen und lernen dabei, dass Süßes auch mit wenig bzw. ganz ohne Zucker ziemlich gut schmeckt. Neu beim Naschmarkt: Auf der KonditorenBühne zeigen handwerklich arbeitende Produzenten und Produzentinnen, wie und wo sie Zucker einsetzen und verarbeiten. In einer Schauproduktion werden Marshmallows, Bonbons und Popcorn gemacht. Naschmarkt: Markthalle Neun, Eisenbahnstr. 42/43, Kreuzberg, Sonntag, 14. April, 12–18 Uhr, Eintritt 5 Euro, frei für Kinder, Jugendliche, Nachbarn (10997) und Berlinpass-Inhaber.

Jeder der Teige hat eine andere Geschichte. Luke Smethan von Albatross hat ihn eher zufällig „entdeckt“, wahrscheinlich ähnlich wie unsere Vorfahren vor zigtausend Jahren. Als er einmal nach einer Backaktion ein wenig Teig unverarbeitet herumliegen ließ, gärte der, Smetham buk ihn dennoch und stellte fest, dass er gut schmeckte. Der Augsburger Dornberger lebte im Ausland, vermisste deutsches Brot und machte seinen ersten Sauerteig nach einem YouTube-Tutorial. Der war immerhin gut genug, dass er vom Sauerteigbazillus infiziert wurde und anfing zu experimentieren. Bei Ava Celik wurde eine Gluten-Unverträglichkeit diagnostiziert. Sie probierte, was der Markt an Glutenfreiem hergab, aber nichts schmeckte ihr: „Ich wollte mich nicht damit abfinden, nie wieder gutes Brot essen zu können.“ So kam sie schließlich auf den Sauerteig.

Christa Lutum dagegen lernte den Beruf von der Pike auf: „In der Berufsschule experimentierten wir. Wir buken nach dem gleichen Rezept zwei Brote, einmal mit industriellem Sauerteig und einmal mit Natursauerteig. Am ersten Tag schmeckten beide Brote gut. Doch schon am nächsten Tag begann das Brot mit dem industriellen Sauerteig schal und trocken zu schmecken, während sich das Aroma des Natursauerteigs weiterentwickelte und saftig blieb.“

Ava Celiks Laden AERA springt einem nicht im Vorübergehen ins Auge. Als ich vom Kudamm in die Fasanenstraße einbiege, ist keine Bäckerei zu sehen, doch an einem Hofdurchgang prangt das gut sichtbare Schild AERA. Der Laden ist elegant und erinnert an ein Museum. Hinter der Glastheke liegt wunderschönes, gut beleuchtetes Brot und ein paar süße Kleinigkeiten. Wer Hunger auf österliche Köstlichkeiten bekommen hat, kann sich bei Albatross mit englischen Hot Cross Buns, traditionell für Karfreitag, und bei Christa Lutum mit Osterlämmern und schwarzen Schafen (mit Schokolade) eindecken. Und wessen Appetit noch weitergeht: Christa Lutum hätte eine Lehrstelle zu vergeben.