Der Hausbesuch: Sie singt auch in der Herzenssprache

Irene Frank singt Wohlfühlsongs auf Allgäuerisch, für Gesellschaftskritik wechselt sie ins Hochdeutsche. In Bayern kommt sie so nicht immer gut an.

Eine Frau sitzt auf dem Tisch und spielt Gitarre

„… nicht müde werden“: Im Herbst erscheint schon das achte Album der Vivid Curls Foto: Marcus Lechner

Gestern ist sie spät nach Hause gekommen, von einem Konzert in Sonthofen, kurz vor Österreich. Am Tag davor haben sie in einem kleinen Ort im Allgäu gespielt, zum Weltfrauentag. Für Irene Frank ist Musik eine Plattform, um für eine gerechtere Welt zu kämpfen.

Draußen: Ein grauer Sonntagvormittag in dem 6.000-Einwohner-Ort Zusmarshausen nahe Augsburg. Niemand ist unterwegs. Vielleicht sind sie noch in der Kirche, vielleicht schneiden sie gerade ein Brötchen auf. Die schmale Straße, nass vom Regen, verläuft von einem Hügel abwärts, trennt die Einfami­lien­häuser rechts und links. Das von Familie Frank, blass lila gestrichen, steht zwischen einem strahlend weißen und einem verwitterten Haus.

Drinnen: Neben der Eingangstür auf dem Boden lehnt ein Schild aus grauen Holzbrettern. Darauf ein Peace-Zeichen und in schwarzer Schrift „Ri­fugio per tutti coloro che amano la natura“. Ein Refugium für alle Naturliebhaber*innen. Irene Frank wohnt hier mit ihrem Mann Jürgen und den zwei Töchtern. Links im Flur hängt eine Kreidetafel, vollgeschrieben mit Notizen. Im großen Wohn- und Esszimmer knistert ein Kamin­ofen. „Es macht mich glücklich, mit einer Tasse Tee vor dem Kamin ein Buch zu lesen“, erzählt Irene Frank im „extra reduzierten“ Allgäuer Dialekt. Die Fensterbänke schmücken Hirschfiguren. Der Blick nach draußen fällt auf den Garten mit Kinderschaukeln und einem umgedrehten Trampolin.

Die Gitarre: Im fliederfarben gestrichenen Arbeitszimmer liegt Irene Franks neue Gitarre auf dem Boden. Sie holt sie aus dem Koffer, setzt sich auf den Boden, spielt ein paar Akkorde. „Der Klang ist bassiger, voller.“ Die 38-Jährige mit den langen braunen Locken tritt seit 17 Jahren mit ihrer Kollegin Inka Kuchler, die auch lange braune Locken hat, als Duo Vivid Curls auf. Folk, Rock, Pop und Balladen singen sie. In der Region kennt man die zwei – Irene Frank allerdings unter ihrem Mädchennamen Schindele.

Die Haltung: Das neueste Album heißt „Eine Welt“. „Mit unseren Gedanken und Handlungen können wir für eine Welt kämpfen, voller Liebe, Respekt, Toleranz, Gerechtigkeit und natürlich auch Nachhaltigkeit.“ Klingt schön, aber unkonkret. Sie will die großen Themen; in Blödsinn, wie etwa Söders Kreuzerlass, mische sie sich nicht gern ein. „Das ist mir zu viel Show, zu plakativ, zu durchschaubar.“

Politik: „Ich will den Menschen sagen: Glaubt’s dran!“. Über das Politische singt Irene Frank am liebsten auf Hochdeutsch: „Das Fußvolk ist grundsätzlich nichts wert / Wer nicht so ist wie er, ist sowieso verkehrt.“ Im Allgäuer Dialekt fiele es ihr schwerer, kritisch zu sein. Die Mundart – „sie ist meine Herzenssprache“ – bevorzugt sie aber für persönliche Texte: „Oifach leaba ohne Plan und Ziel / Schier verruckt, so fühl I mi frei.“

Ein Deko-Hirsch steht auf einer Fensterbank. Die Sonne scheint durchs Fenster.

„Es ist für Leute, die so denken wie wir, schon manchmal einsam hier“, sagt Irene Frank Foto: Marcus Lechner

Resignation: „Wenn man das Gefühl hat, als Minderheit in einer Gesellschaft zu leben, die ganz andere Haltungen vertritt, dann ist es schon leicht, auch mal zu resignieren.“ In Bayern gebe es engagierte Menschen, aber auch die, die Vivid Curls wegen eines Liedes gegen Religionskriege nicht bei sich im Ort spielen lassen wollten.

Das Ehrenamt: In das Eigenheim in Zusmarshausen ist die Familie Frank vor fünf Jahren gezogen, weil die Mieten in Augsburg zu hoch wurden. Irene Frank übernahm ehrenamtlich die Leitung des Kulturkreises, um sich schnell einleben zu können. „Ich unterhalte mich viel mit Leuten, wobei da politische Themen eher ausgespart werden.“ Auf Veranstaltungen bringe sie ihre Kritik aber ein. „Es ist für Leute, die so denken wie wir, schon manchmal einsam hier.“

Familie: In ihrer Nachbarschaft fühle sie sich aber wohl. „Und mit meinem Mann habe ich jemanden, mit dem ich auf einer Wellenlänge diskutieren kann.“ Mit ihren neun- und zehnjährigen Töchtern wiederum singt sie oft zu Hause. „Früher viel Nena, jetzt haben die Kinder eine ‚Bibi und Tina‘-Phase, aber auch Philipp Poisel.“

Die Beatles: Die Sängerin schenkt Tee ein, zieht dicke Socken an und setzt sich an den kleinen Küchentisch. Das mit der Musik, das habe sie früh angefangen und noch jung erst mal wieder verworfen. Irene Frank wuchs im Allgäu nahe Kempten auf und entdeckte mit elf Jahren die Beatles. Erst eine Biografie im Bücherregal ihres Großvaters, dann die Platten im Regal der Eltern. Anfang der 90er Jahre lernte sie die Texte und die Akkorde auf der Gitarre auswendig und spielte sie rauf und runter („selbst beim Wäscheaufhängen“). Bis ihr Vater es nicht mehr hören konnte. In der Schule wählte sie den Musik-Leistungskurs, musste vorsingen und fiel durch die Aufnahmeprüfung. „Da habe ich mit knapp 18 Jahren beschlossen, mit der Musik komplett aufzuhören.“

Studieren: Für das Studium, Englisch und Spanisch auf Lehramt, zog sie nach Augsburg. Die Stadt liegt eine Stunde nördlich von ihrem Heimatort, und sie wollte nicht gerne weit weg. „Man ist mit seinem Allgäu einfach so verbunden, mit diesen Bergen.“ Während des Studiums lernte sie ihren Mann und Inka Kuchler kennen, mit der sie 2002 die Vivid Curls gründete. Erst coverten sie Songs von ­Sheryl Crow und Alanis Morissette, „die starken Singer-Songwriterinnen“. Um sich auch krea­tiv auszudrücken, fingen die beiden Allgäuerinnen an, eigene Lieder zu schreiben.

Zweifeln: Die Musik zur Karriere zu machen hat sich Irene Frank lange nicht getraut. „Ich saß da im Studium, war mir sicher, dass ich nicht ins Lehramt wollte, aber wusste nicht, was sonst. Ich war in einer Krise.“ Sie wollte sich bei dem von Paul McCartney gegründeten Liverpool Institute for Performing Arts bewerben, um eine Musikausbildung zu bekommen. Kuchler meinte: Sie könnten auch die eigene Musik zum Beruf machen. „Ich habe das für eine verrückte Idee gehalten. Ich war nie die Träumerin, die an den großen Durchbruch glaubt.“ Nach kurzer Bedenkzeit sagte sie aber zu.

Erfolg: Warum glaubt sie, hat das mit der Musik geklappt? Schicksal, sagt Irene Frank, das Glück, einander zu haben, und der feste Wille. „Wir wollten das mit allen Fasern unseres Seins. Wir haben zwischen 2008 und 2010 drei Kinder gekriegt, Inka eines und ich zwei, und drei Alben rausgebracht. Da haben wir uns richtig ausgepowert“. Sie gewannen in verschiedenen Kategorien des Deutschen Rock-und Pop-Preises und nahmen einen Song für einen Kinofilm der Augsburger Puppenkiste auf.

Wendepunkt: 2016 traten sie als Nachwuchspreisträgerinnen der Hanns-Seidel-Stiftung bei dem Festival „Songs an einem Sommerabend“ auf. „Da haben wir Liedermacher wie Konstantin Wecker getroffen. Wir haben schon immer kritische Songs geschrieben, aber wir haben uns ausbremsen lassen von Stimmen, die gesagt haben, dass wir auf Unterhaltung setzten sollten. Das Festival war ein Wendepunkt für uns.“

Ein Kamin steht an der rechten Wand des Zimmers, im Hintergrund stehen Bücherregale.

Die Sängerin liebt es, mit einer Tasse Tee vor dem Kamin zu sitzen und ein Buch zu lesen Foto: Marcus Lechner

Freitagsdemos: „Ihr seid mächtig, wenn ihr zusammensteht / Zeigt auf, dass es ums große Ganze geht.“ Mit ihrem neuen Song wollen Vivid Curls die jungen Leute von Fridays for Future bestärken. „Ich kann gut verstehen, wenn Greta Thunberg sagt, sie hat Panik. Die hatte ich mit 16 auch, und es ist eigentlich nicht gut, dass sie weniger wird mit den Jahren.“ Das achte Album, das im Oktober erscheinen soll, haben sie „… nicht müde werden!“ genannt.

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