heute in hamburg
: „Siegel sogar kontra­produktiv“

Diskussion: „6 Jahre nach Rana Plaza – wo geht die Reise in der Fashion hin?“, 18.30 Uhr, Akademie Mode & Design, Alte Rabenstraße 1, Eintritt frei

Interview André Zuschlag

taz: Frau Musiolek, der Einsturz von Rana Plaza, bei dem mehr als 1.100 Menschen starben, liegt heute sechs Jahre zurück. Was hat sich seitdem für die Näher*innen in Bangladesch getan?

Bettina Musiolek: Das Bangladesch Accord, ein Gebäude- und Brandschutzabkommen, das danach abgeschlossen wurde, hat in den Fa­briken viel verändert und verbessert. Das Pro­blem ist: Dieses Abkommen wurde für fünf Jahre beschlossen und seit letztem Jahr wird über die Verlängerung verhandelt. Der Herstellerverband und die Regierung tun alles, dass das Abkommen aus dem Land vertrieben wird.

In der ersten Zeit nach dem Einsturz gab es einige, zum Teil mit Gewalt unterdrückte Proteste. Wurde damit der Widerstand in den Fabriken gebrochen?

Keinesfalls. Anfang des Jahres gab es wieder Proteste. Nur erleben wir derzeit die größte Repression gegen Gewerkschafter*innen und „aufmüpfige“ Beschäftigte. Es gibt schwarze Listen von Beschäftigten. Wenn der Widerstand gebrochen wäre, wäre die Repression nicht so stark. Und gleichzeitig sind durch Fabrikbrände 95 Menschen gestorben, allein in den letzten zwei Monaten.

Man hört, dass neuerdings vermehrt in Südosteuropa produziert wird. Bedeutet das, zumindest im Vergleich mit Asien, bessere Arbeitsbedingungen?

In Rumänien wird schon seit über 30 Jahren produziert. Dort sehen wir – schönes Wort – die passive Lohnveredelung, also die Auslagerung der Produktion in Länder mit niedrigen Löhnen. Was aber zugenommen hat, ist unsere Wahrnehmung. Wir wissen, dass Näher*innen dort nur 14 Prozent eines existenzsichernden Lohnes verdienen – von anderen Menschenrechtsverletzungen ganz zu schweigen.

Also sollte man auf Marken umsteigen, die fair produzieren lassen?

Foto: privat

Bettina Musiolek koordiniert seit 20 Jahren die Arbeit der Clean Clothes Campaign (CCC) in Südosteuropa.

In Ost- und Südosteuropa lassen auch sogenannte Fair Fashion-Brands herstellen. Die Produktionsstätten unterscheiden sich nach unseren Recherchen nicht von Fabriken, die für H&M oder Kik nähen. Wir haben die Produktionsstätte einer selbsternannten Fair Fashion-Brand untersucht, wo keine Näherin den gesetzlichen Mindestlohn bekommt. Der liegt in Rumänien bei 233 Euro netto und entspricht 17 Prozent eines existenzsichernden Einkommens.

Was sagt das über die unzähligen Siegel und Zertifikate aus, die auf Freiwilligkeit beruhen?

Siegel und Zertifikate für „faire“ Produktion tragen nichts zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie bei. Aus Menschenrechtssicht sind sie sogar kontraproduktiv. Was wirklich helfen würde, wären verbindliche und einklagbare Abkommen und Gesetze.