Politik für Desinteressierte

Der Videojournalist Tilo Jung bringt Politik an die junge Generation. Seine Interviews sind unkonventionell – und gerade deswegen so erfolgreich

Videojournalist Tilo Jung Foto: picture alliance

Von Lisa Rubin

Anfang April 2019: Er ist wieder da und kaum wiederzuerkennen. Interviewer Tilo Jung hält sich wie gewohnt zurück. Um ihn geht es auch gar nicht, es geht um sein Gegenüber. Jung lässt sie reden. Der „Mann mit den Haaren im Gesicht“, wie Sigmar Gabriels kleine Tochter Martin Schulz kurz nach der Bundestagswahl 2017 genannt haben soll, er ist ein ganz anderer. Es geht nicht ums Äußerliche, es geht um das, was Schulz zu sagen hat: Der ehemalige Präsident des Europaparlaments, er wollte Bundeskanzler werden. Nun ist er ein einfacher Bundestagsabgeordneter – und spricht mit Jung über die Lehren, die er aus dem Bundestagswahlkampf gezogen hat.

Es ist ein ungewöhnliches Interviewformat, eines, in welchem Politiker ohne Zeitdruck und völlig frei heraus darüber sprechen können, was sie bewegt. Das beschreibt die Herangehensweise des Videojournalisten Tilo Jung wohl am besten. In seiner Videoreihe „Jung & naiv“ ist er der junge, politisch mittelmäßig interessierte Mensch schlechthin.

Er ist der Stellvertreter einer ganzen Generation, die gern mehr wissen will und doch so wenig weiß. Jung tut, was junge Leute tun sollten: Er fragt einfach mal drauflos. Dementsprechend unvoreingenommen sind auch Jungs Interviewfragen. Das ist Jungs Stärke.

Trotzdem deckt der Journalist Zusammenhänge und Widersprüche auf. Mit seinen Gästen spricht er neben brisanten Themen aber auch über ihr Leben. Er ergründet ihre Motivation, etwa für ihre Karriere als PolitikerInnen. „Ach, echt?“, wirft er immer wieder ein und fragt, als wüsste er nicht viel, als hätte er nicht viel zu sagen. Er gibt sich jung und naiv.

Seine Videos richten sich in erster Linie eher an ein junges Publikum. Den Rahmen hält er persönlich, die Distanz zwischen seinen InterviewpartnerInnen und ihm ist stets gering. Das „Du“ ist Selbstverständlichkeit, Fachbegriffe müssen die Interviewten schon genau erklären. In diesen Zweiergesprächen ist eine lockere Atmosphäre schnell erreicht.

Einmal pro Woche lädt Jung ein neues Interview hoch. Die Videos sind ungekürzt. Man lernt eine andere Seite von Jungs Gästen kennen. Das kommt an: Der YouTube-Kanal zählt mittlerweile knapp 180.000 Abonnenten. Inzwischen reist Jung auch, unter anderem nach Nahost, spricht mit Angehörigen der israelischen Armee genauso wie mit JournalistInnen im Gaza-Streifen. Die InterviewpartnerInnen repräsentieren grundverschiedene politische und gesellschaftliche Gruppen. Ebenso divers sind ihre Meinungen.

Die ZuschauerInnen sollen sich eine eigene Ansicht zusammenbasteln. Es ist Politik für interessierte Desinteressierte, Menschen ohne großes Hintergrundwissen.