Kinoempfehlung für Berlin: Exorzismus à la polonaise

FilmPolska widmet dem Querdenker Krzysztof Zanussi eine Werkschau und Ausnahmeregisseur Wojciech Smarzowski die Hommage.

Radikaler Skeptizismus: Krzysztof Zanussis „Die Struktur des Kristalls“ (1969) Foto: Studio Filmowe TOR

Im mittel- und osteuropäischen Kino finden sich unter den aktiven Regisseuren nur noch wenige der einstigen Größen. Unbemerkt haben die letzten Jahre eine Filmkultur begraben, die aus BRD-Perspektive ein Schattendasein geführt haben mag, das Weltkino aber doch reich beschenkte: Legenden wie Kira Muratova, Eldar Rjazanov, Georgij Danelija oder Marlen Chuciev (UdSSR), Miloš Forman und Juraj Herz (ČSFR) oder Dušan Makavejev (Jugoslawien) sind tot. Und auch Polens Kino-Übervater Andrzej Wajda ist nicht mehr.

Umso wichtiger ist deshalb, dass nationale Filmwochen ihre Spotlights gelegentlich von den aktuellen Shootingstars – wie Paweł Pawlikowski („Cold War“) oder Agnieszka Smoczyńska („Fugue“, ein Psycho-Kammerspiel) – auf vorgeblich etablierte Regisseure werfen, die bei näherer Betrachtung die eigentlichen Entdeckungen wären. Wobei ausgerechnet im polnischen Kino generell das Problem der Qual der Wahl vorliegt.

Mit Krzysztof Zanussi fiel letztere auf einen veritablen Querdenker: einen intellektuellen Essayisten und formalen Stilisten, der sich wiederholt zum Katholizismus bekannte und im Juni seinen 80. Geburtstag feiern wird. FilmPolska nimmt das zum Anlass, ihm eine Werkschau zu widmen. Dieser Einladung zum Existentialismus als „innerer Emigration“ (Margarete Wach) ist zu folgen.

Es sind acht Filme, die bis 3. Mai im Zeughauskino gezeigt werden; zur Eröffnung am 26. 4. reist der Grandseigneur an und wird in einer der vielen Weltsprachen, die er fließend beherrscht, eloquent Auskunft geben über den Entstehungskontext seines ersten langen, heute bekanntesten Films, „Die Struktur des Kristalls“.

FilmPolska: bis 1. Mai 2019, verschiedene Orte, Programm unter: www.filmpolska.de

Ins Kino kam dieses Filmdokument des radikalen Skeptizismus im Jahr 1969, zwischen der Niederschlagung des Prager Frühlings, den Studentenunruhen unter anderem in Warschau und dem Danziger Aufstand von 1970. Zanussi hat Helden ins Kino eingeführt, die verschwiegen und nachdenklich sind, beobachten und zaudern statt handeln, und die alles hinterfragen, was nach Stabilität aussehen könnte, vom gesellschaftlichen Status Quo bis zum eigenen Ich.

Konfrontative Figurenkonstellationen verwandelt der als Physiker ausgebildete Film-Philosoph in Experimentierfelder der Reflexion und Metaphysik. Räumlich als Retreats inszeniert – ob die Illuminationen im Hochgebirge („Iluminacja“, 1973 – Sa. 27. 4., 19h & So. 28. 4., 20h), das Akademikersommercamp in „Tarnfarben“ (1977) (So. 28. 4., 18h & Do. 2. 5., 20h) oder der Berghüttenwinter in der Hohen Tatra („Spirale“, 1978 – Di. 30.4 ., 20h) – etabliert Zanussi Auszeiten, die der Selbst- und Systembefragung dienen. Genau weil diese Filme trotz Gegenwartsbezug „keine Kinofeuerwerke der neuen Zeit“ waren, wie Festivalleiter Kornel Miglus betont, hatte er von Beginn an auch international Erfolg.

Das von ihm gegründete Studio „Tor“ gilt neben Wajdas Studio „X“ als Geburtsstätte jenes „Kinos der moralischen Unruhe“, das zwischen 1976 und 1981 den Sound und die nüchternen Visionen des Post-Neue-Wellen-Aufbruchskinos bestimmte.

Auch die eindringlichen Studien „Zwischenbilanz“ (1974, Sa. 27. 4., 21h), einer der wenigen Filme Zanussis, in dessen Mittelpunkt eine Frau steht, sowie „Ein Mann bleibt sich treu“ (1980 – Mi. 1. 5., 20h & Fr. 3. 5., 21h), behandeln den Stillstand als Scheitern an alternativen Haltungen und Lebensentwürfen. Schade, dass nicht noch mehr Arbeiten des Altmeisters, besonders die hochinteressanten späteren, laufen. Auch „Ether“, Zanussis neues faustisches – genauer: mephistophelisches – Meisterwerk muss erst noch seine Festivalauswertungstour machen …

So bleibt es einem anderen polnischen Ausnahmeregisseur vorbehalten, Wojciech Smarzowski (Jg. 1963), die diabolischen Abgründe des katholischsten aller postkommunistischen Länder zu sezieren.

Klerus“ tut das mit so viel Verve, dass es weh tut, bleibt bei aller brutalen Dynamik (psychisch wie physisch) aber im Grunde sachlich. Denn Missbrauchsvorwürfe und Pegelsaufen, Zölibatsverletzung und Korruption stehen auch in Polens Kirche auf der Tagesordnung, was angesichts des ideologischen Umschwungs im Lande von Recht und Gerechtigkeit (kurz: PiS) prekär ist. Über 5 Mio. sahen „Kler“ im letzten Jahr, das ist rekordverdächtig und zeigt, wie gesellschaftsrelevant Kino sein kann.

Smarzowski hat seine handwerklich perfekt operierenden Finger immer schon gern auf die nationalen Traumata gelegt. Die umfangreiche Hommage, die in Anwesenheit des selten auftretenden Regisseurs am Do. 25. 4. um 19.30 im Babylon eröffnet wird, belegt das reichlich.

Seine Krimis, ob „Dom zły“ (2009) oder „Drogówka“ (2013), sind stets auch Analysen von Gesetzesmissbrauch, in „Wesele“ (2004) geht’s nicht nur ums Heiraten (sondern ums Geld), „Zum guten Engel“ bohrt in den Wunden der Daueralkoholisierung und die beiden historischen Filme „Róża“ (2011) und zuletzt „Wołyń“ (2016) zerschlagen so manche Kriegsmythen der Nation.

Zanussi steht für Autorenkino. Smarzowski für Genre. Er ist darin ein weitgehend unentdeckter Meister. filmPolska zeigt beider Œuvre – inmitten einer Fülle neuer Produktionen eines Kinolandes, das auch in diesem Jahr überquillt an filmischer Kreativität.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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