Küsse aus Sprengstoff

Morgen beginnt das 14. Xposed Queer Film Festival. In Deutschland bietet es mit seinem Programm einen einzigartigen experimentellen Reichtum, ganz ohne institutionelle Förderung

Unter Gender-Gesichtspunkten völlig in Ordnung: Betrand Mandicos „The Wild Boys“ Foto: Xposed Film Festival

Von Jan Künemund

„Ich bin davon überzeugt, dass ein konventionelles Kino durch seine formalen und inhaltlichen Beschränkungen, wie z.B. durch die klassische Narration, nicht dazu in der Lage ist, die Erfahrungen oder Gegenstände lesbischer oder schwuler Wahrnehmungen, Belange und Konzepte anzusprechen“, schrieb die selbsterklärte „Experimentalfilmemacherin und lesbische Feministin“ Barbara Hammer 1993 und machte dadurch klar, wie „queer“ und „Kino“ zusammen zu denken ist: ein radikaler Inhalt verlangt eine radikale Form.

Hammer, deren berühmter Text über die „Politik der Abstraktion“ im gerade bei Ventil erschienenen Sammelband „Queer Cinema“ nachgedruckt wurde, starb im März dieses Jahres. Ihre Filme gab sie auf prekäre Weise selbst heraus, man findet sie weder in Videotheken noch in Büchereien und erst recht nicht bei Netflix. Fünf davon, entstanden zwischen 1974 und 1992, sind nun auf dem Xposed Film Festival zu sehen. Das ist eine immense kuratorische Leistung, die aber niemanden verwundert, die/der das Festival kennt, das selbst seit vierzehn Jahren eine radikale Form für radikale Inhalte gefunden hat: ein Safe Space für visuelle Herausforderungen, ein Kino-Closet, das sich zur Welt öffnet, cinephil, narrativ ungebunden und ohne institutionelle Förderung.

Der in Deutschland einzigartige experimentelle Reichtum des Xposed existiert ein wenig im Berliner Windschatten der Berlinale, die für ihre queeren Filme im Programm seit langem einen verdienstvollen eigenen Preis, den Teddy, ausloben lässt und damit oft eher thematische als künstlerische Zugänge zum Queeren Kino legt. Dort verständigen sich die Community und ihre Unterstützer*innen über unerledigte Projekte des Emanzipationsprozesses, erzeugen einen wichtigen Markt für global anschlussfähige Diskriminierungs- und Empowerment-Narrationen und überprüfen damit die eigene Marktfähigkeit.

Da auf einem großen Festival wie der Berlinale immer weniger kommuniziert wird, wie Kino funktioniert und unter welchen Bedingungen minoritäre Perspektiven darin einen Platz finden können, ist für das Xposed der Weg frei geworden, die queeren Filme vorzustellen, die auf dem Markt keine Chance haben: in diesem Jahr sind rekordverdächtige sechzehn Langfilme und acht Kurzfilmprogramme zusammengekommen.

Xposed stellt queere Filme vor, die auf dem Markt keine Chance haben

Barbara Hammers lustvolle Erforschungen dessen, was auch im schwullesbischen Kino meistens fehlt (alte Lesben, S/M, nicht-weiße Körper, Sex) waren der Community immer zu experimentell und den Cinephilen zu lesbisch. Auch das Xposed scheint für ein Publikum programmiert, das es (noch) gar nicht gibt: das nicht an minoritäre Perspektiven in konventionellen Erzählungen glaubt, sondern an die besondere Entflammbarkeit des Blicks, die sich ergibt, wenn Queer und Kino als fluide Medien zueinanderfinden. Wie in Hammers „Nitrate Kisses“, in dem queere Küsse auf brennfähigem Zelluloid imaginiert werden, die es in der Prä-Stonewall-Filmgeschichte nicht gab. Ob lesbische Lust immer noch die Einstellungen und Formate des klassischen Kinos entflammen kann, das vom männlichen wie vom straighten Blick gleichermaßen voreingestellt ist, werden sich drei Filmemacherinnen am Samstag in einer Gesprächsrunde fragen, die als „Liebesbrief an das lesbische Filmemachen“ konzipiert und für die Barbara Hammer eine gute Referenz ist.

Unter den vielen aktuellen Filmen, die im Programm mit Hammers Werken konfrontative und liebesbriefähnliche Verbindungen eingehen werden, sind, wie die Festivalleitenden Bartholomew Sammut und Merle Groneweg selbstbewusst verkünden, keine klassischen Liebesgeschichten. Mit Bertrand Mandicos spektakulärem „The Wild Boys“, der das Festival am Sonntag abschließen wird, kann man erleben, wie ein Queeres Kino aussieht, das auf Konventionen pfeift und auch kein „Thema“ anbietet: darin landen fünf pubertierende Jungs in einer artifiziellen Südseekulisse nach Meuterei auf einer einsamen Insel. Eine Variation des „Herrn der Fliegen“ als DIY-Fiebertraum, in dem wie beiläufig die Pointe gesetzt ist, dass die Jungen nicht von männlichen Schauspielern gespielt werden.

Mandico hat 2012 ein Manifest für das „inkohärente Kino“ geschrieben, für ein Kino der wilden Spekulation, des aufreizend Nicht-Perfekten, das die Zaubertricks des klassischen Kinos auswendig gelernt hat und sie zu einer queeren Utopie verdichtet: für Menschen, deren Blick entflammbar ist. Sein 16-mm-Material wird nicht brennen, das Xposed bietet anderen Sprengstoff an: Liebeserklärungen an eine cinephile Community, für die die LGBT-Rubrik von Streamingdiensten nicht ausreicht. „Ein schlechter Film ist einer, der nicht flimmert“, wusste schon Jack Smith.

Xposed, 9. bis 12. Mai, verschiedene Orte, www.xposedfilmfestival.com