Tatortreinigerfirmen auf Instagram: Die Faszination des Schrecklichen

Ein fragwürdiger Social-Media-Hype: Reinigungsfirmen aus den USA teilen Bilder von Blutflecken auf Instagram. Dafür regnet es Likes.

Eine Person von der Spurensicherung kniet über einer gelben Markierung an einem Tatort.

Das fasziniert auf Instagram: Nach der Spurensicherung kommen die Tatortreiniger Foto: imago images/Rupert Oberhäuser

Eigentlich ist Instagram ein Kosmos, in dem herausgeputzte Influencer*innen die Hauptrollen spielen. Doch das Sammelsurium aus glänzendem Parkettboden, weißen Flügeltüren und symmetrisch drapiertem Müsli lässt offenbar auch Raum für Ekel zu. Wird der Plattform häufig nachgesagt, dort sei zu vieles ins­zeniert, zu wenig echt, so liefert ein neuer Trend nun die gehörige Portion Authentizität – in Form von Blut, Müll und Leichenteilen.

Tatortreinigerfirmen aus den USA stellen Bilder ihrer Arbeit ins Netz, führen mit Selfiekamera durch die Orte, an denen Menschen gestorben sind. Zu sehen sind vollkommen verwahrloste, zugemüllte Wohnungen, riesige Blutflecken auf Teppichen, an Wänden und in Autos. Die Bildbeschreibungen liefern Informationen zu den Umständen des Todes. Die Kommentare zeigen eine Mischung aus Ekel und Abscheu. Accounts wie diese haben Hunderttausende Abonnent*innen, ein Bild von einem Blutfleck kommt auf etwa 6.000 Likes. Wie kommt dieser Hype zustande und wie ist er zu bewerten?

Bei dem Wort Tatortreiniger denken die meisten Deutschen zuerst an die NDR-Serie mit Bjarne Mädel: Hamburger Dialekt und weißer Pick-up. Michael Lehmann ist CEO der Studio Hamburg Production Group und Geschäftsführer der Produktionsfirma Letterbox Filmproduktion, die „Der Tatortreiniger“ produziert hat. Die Serie wurde 2011 das erste Mal ausgestrahlt, Ende letzten Jahres schrubbte Schotty ein letztes Mal die Flecken aus den Teppichen.

Persönlich könne sich Lehmann nicht für reale Tatorte faszinieren. „Ich beschäftige mich als Produzent mit den fiktiven Tatorten. Dafür muss man aber natürlich das Phänomen der Faszination kennen und verstehen.“ Er betont, dass jede fiktive Abbildung auch einem „gewissen Realitätscheck der Zuschauer“ unterliege und auf der „Basis der Realität“ stattfinde.

Den Instagram-Hype kann er sich mit einer „Schlüssellochperspektive“ erklären: „Die Leute sind vermutlich froh, dass sie mit der Sache an sich nicht in Kontakt kommen und sich das aus einer Distanz heraus anschauen können.“ Ähnlich wie beim Fernsehen, könnte man hinzufügen. Der Serienerfolg hänge auch mit einer sehr realistischen Darstellung zusammen, sei aber vor allem auf einen zurückzuführen: Bjarne Mädel. „Er hat die Zuschauer mit seiner Emotionalität, seinem Charme, Witz und mit seinen Haltungen überzeugt.“

„Der wahre Tatortreiniger“

Dass „Der Tatortreiniger“ den Realitätscheck bestanden hat, dafür ist Christian Heistermann mitverantwortlich. Bereits vier Jahre bevor Schotty im Fernsehen mit schwarzem Humor und weißem Overall Wohnungen säuberte, etablierte Heistermann den Begriff und den Beruf Tatortreiniger in Deutschland. Er führt eine Gebäude­reinigungsfirma in Berlin. Drehbuchautorin Ingrid Lausund kam vor der Produktion der Serie auf ihn zu, um Hintergrundinformationen über seinen Beruf zu erfahren.

Am Eingang von Heistermanns Büro in Berlin-Mahlsdorf hängt ein großes Schild mit der Aufschrift „Der wahre Tatortreiniger“. Der sitzt mit einer Zigarette in der Hand an seinem Schreibtisch und erzählt, wie es ist, den Ort sauber zu machen, an dem ein Mensch gestorben ist. Für ihn ist das Alltag. Er scheint großen Respekt vor dem Tod und dem Umgang damit zu haben. Dass Bilder von realen Tatorten im Netz landen, hält er für respektlos: „Ich würde mich an so einem Ort nicht selbst ins­zenieren, nur weil ich da jetzt einen Fleck wegmache.“

Er habe selbst schon darüber nachgedacht, mit einer Kamera durch die Tatorte zu gehen, „einfach um zu zeigen, was wir da machen“, sich jedoch dagegen entschieden. „Wie sehen die Leute mich dann und wie sehen mich die Angehörigen? Bis zu einer gewissen Grenze kann man schon gehen, aber man muss nicht darüber hinausgehen, nur um nun noch mehr Aufmerksamkeit zu erhaschen.“

Das „faszinierte Starren“ rühre daher, dass man sich von Aufregendem anziehen lasse

Heistermann scheint sich als Tatortreiniger schon gern selbst zu inszenieren. Auf Instagram und Facebook finden sich Bilder von ihm im Overall und mit Atemschutzmaske. Doch auf seinen privaten Profilen und auf denen seiner Firma sind keine Blutlachen oder vermüllte Wohnungen zu sehen. Niemand führt durch einen Tatort, als sei es eine minimalistisch eingerichtete Hipsterwohnung.

In Deutschland ist es verboten, natürliche oder verstorbene Personen ohne Erlaubnis abzubilden. Gegen das Ablichten fremden Bluts spricht rechtlich jedoch nichts. Richtlinie 8.7 des Pressekodexes verweist jedoch aus gutem Grund auf Zurückhaltung in Bezug auf die Berichterstattung von Suiziden – insbesondere in Bezug auf die Veröffentlichung von Fotos. Die Tatortreiniger-Accounts sind voll davon und nutzen sogar den Hashtag #suicide.

In den USA gibt es keinen Presserat. Und dort ist bekanntlich erst einmal alles erlaubt, bis es verboten wird. Man kann mit Paragrafen und ethischen Richtlinien für die Verwerflichkeit des Trends argumentieren. Man kann auch mit gesundem Menschenverstand zu dem Schluss kommen, dass das, was die Tatortreinigerfirmen in den USA machen, absolut nicht cool ist. Und das, was die Follower machen? Diejenigen, die liken, kommentieren, sich gegenseitig verlinken und den Hype damit erst zum Hype machen?

Tod und Schrecken verkaufen sich gut

Dieses Verhalten begründet Peter Walschburger, Professor für Biopsychologie an der Freien Universität Berlin, mit einem eigentlich gutartigen, menschlichen Instinkt: der Faszination des Schrecklichen. Die Menschen schauen, so Walschburger, in gefährlichen Situationen ganz genau hin, um sich zu schützen. Der Trend im Netz sei vergleichbar mit dem, was passiert, wenn auf der Straße ein Unfall passiert und die Menschen nicht wegschauen können. Dieses „faszinierte Starren“, wie er es beschreibt, rühre daher, dass man sich von aufregenden Dingen anziehen lasse.

Das Problem bei solchen Situationen im Netz sei, dass es einen großen Wahrnehmungs- aber nur einen kleinen Handlungsraum gebe. Das lasse der Fantasie freien Lauf. „Man sollte das Ganze jedoch nicht moralisch erhöhen“, merkt Walschburger an. Film und Fernsehen seien auch voll von den Motiven Tod und Schrecken. Die Beliebtheit dieser Themen baue auf derselben Logik auf.

Dass sich Tod und Schrecken gut verkaufen – und zwar noch besser, wenn sie echt sind – das zeigen Produkte wie Zeit Verbrechen, Stern Crime oder auch das gute alte „Aktenzeichen XY“. Die Magazine und die Sendung bestehen aus echten Verbrechen, hübsch aufbereitet für Rezipient*innen, denen der sonntägliche „Tatort“ und all das andere Krimi- und Thrillermaterial in Film, Fernsehen und Buchhandlung nicht krass genug ist.

Rechtfertigung für das Posten fremden Bluts

Eine der Tatortreiniger*innen, die ihre Arbeit auf Instagram dokumentiert, liefert eine Begründung, eine Rechtfertigung für das Posten fremden Bluts: Laura Spaulder, auf Instagram @crimescenecleaning. Man wolle die Menschen dazu auffordern, aufmerksamer zu sein und aufeinander zu achten, wenn man zum Beispiel ein paar Tage nichts mehr aus der Nachbarwohnung hört, erklärte sie gegenüber dem Nachrichtenportal The Daily Beast.

Aufmerksamkeit in Form von Hunderttausenden Followern und bares Geld mit dem Verkaufen von Merchandise werden nicht als Grund angegeben. Die Menschen, die den Ort, an dem ein Mensch gestorben ist – ob natürlich, durch Suizid oder Fremdeinwirkung – zu einem Social-Media-Schauplatz machen, und das auch noch unter dem geheuchelten Vorwand einer guten Tat, sollten dafür keine Likes, sondern reihenweise Meldungen bekommen oder selbst auf die Idee kommen, es einfach zu lassen. Spätestens, wenn unter dem Bild einer Blutlache in Folge eines Suizids der Kommentar auftaucht: „I wish I had a gun too.“

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