Verstrahlt in Brandenburg

Manfred Maurenbrecher bevölkert seinen Provinzroman „Grünmantel“ mit allerlei knorrigen, liebenswerten und rumlabernden Originalen

Manfred Maurenbrecher Foto: Jürgen Bauer

Von Thomas Winkler

Sie heißen Melchow oder Krassow, die Bewohner von „Grünmantel“, ihre Namen beschlossen von derselben Endung, die auch manches Dorf im Brandenburgischen trägt. Denn hier soll er liegen, in Brandenburg, genauer in der Uckermark, der fiktive, titel­gebende Ort, in dem Manfred Maurenbrechers dritter Roman angesiedelt ist.

Abgesehen davon, dass Grünmantel das typische „ow“ am Ende fehlt, hat es alles, was es zum brandenburgischen Durchschnittsdorf qualifiziert. Es gibt die ehemalige LPG, die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, die heute aber nur noch wenigen Lohn und Brot gibt. Es gibt die Aussteiger mit vorwiegend westdeutschem Migrationshintergrund, die nach einer postindustriellen Idylle suchen, auf die die Ureinwohner gern verzichten würden. Es gibt den Nationalpark. Es gibt die Neonazis und ihre Kameradschaft, den einzigen Supermarkt mit den patenten Kassiererinnen drinnen und den dummes Zeug labernden Trinkern davor, den stotternden Handwerker und den gescheiterten Künstler, die standhafte Sekretärin der Agrargenossenschaft und den aus dem Rheinland stammenden Dorfpolizisten, der unter der eher missgelaunten Mentalität der Brandenburger leidet.

Vor allem aber gibt es einige alte Rechnungen aus Vorwendezeiten und nicht ganz so alte aus den aufregenden Tagen des Umbruchs, die noch beglichen werden müssen. Während Maurenbrecher langsam seine Figuren einführt, hier und dort eine zarte Liebe keimen lässt und ein paar Selbstfindungsprozesse in Gang setzt, dräut im Hintergrund ein Geheimnis, das diese niemals heil gewesene Welt dann doch gar nicht so sehr erschüttern wird – aber als macguffinesker Motor der Geschichte den nötigen inneren Antrieb verschafft.

Da liegt allerdings auch das Problem. Der vor allem als Liedermacher gekannt gewordene Autor hat eine Art ewig währende Exposition geschrieben, er scheint vor allem interessiert an dem Panoptikum aus skurrilen Figuren, das er liebevoll und detailreich entwirft. Angesichts der Überzahl an Handlungsträgern gerät manche Biografie allerdings etwas flach, aber vor allem das, was getragen werden sollte, die Handlung selbst, wirkt seltsam blutarm: Ob eine Entführung oder ein Überfall der Rechtsextremen, alles geschieht wie unter Mehltau, eben im Rhythmus eines vom Rest der Welt vergessenen Dorfs. Der verzögerte Herzschlag der Provinz findet seinen Widerhall in der lyrischen, bisweilen kryptisch verstellten Sprache: Gern lauscht man dem Klang der Worte nach, während sich die Bedeutung nicht immer schnell erschließt.

Manfred Maurenbrecher: „Grünmantel“. be.bra Verlag, Berlin 2019, 224 Seiten, 20 Euro

Nein, wichtig ist nicht, was die Grünmanteler tun. Wichtig ist, was und wie sie sind: Alle sind sie entweder knorrig oder verstrahlt, psychisch deformiert oder sexuell des­orien­tiert, gern auch alles auf einmal. Dieses Grünmantel scheint ausschließlich bewohnt von Originalen, als hätten die durchschnittlichen Langweiler die Gegend lange schon verlassen. Die Zurückgebliebenen diskutieren beim Mittagsbier aktuelle Internet-Bandbreiten und olle Kamellen. So gesehen ist „Grünmantel“ dann doch zumindest ansatzweise realitätsnah.

Generell aber ist das Brandenburg, das der in Westberlin aufgewachsene Maurenbrecher entwirft, ein eher märchenhafter Tummelplatz abstruser und kauziger Charaktere. Dieses Brandenburg liegt allerdings schwer im Trend, es wird nicht nur von Die-Ärzte-Schlagzeuger Bela B. in seinem Romandebüt bemüht, wenn auch in der vom polyplotten Pop-Underground informierten, ironisierten Splattervariante. „Scharnow“ heißt das titelgebende, fiktive brandenburgische Dörfchen bei Bela B. Natürlich mit „ow“.