Drohender Streit unter R2G in Bremen: Der Koalitionsvertrag gilt doch

Bremens Innensenator hätte Abschiebehäftlinge gerne zusammen mit Straftätern eingesperrt, obwohl das EU-Recht widerspricht. Jetzt rudert er zurück.

Demo vor dem Knast in Bremen

Demo gegen die drohende Abschiebung eines kurdischen Flüchtlings vor dem Knast in Bremen Foto: dpa

BREMEN taz | Das Bremer Innenressort will Abschiebehäftlinge nun doch nicht in normalen Haftanstalten unterbringen – auch nicht „zeitweise“ und in „begründeten Einzelfällen“. Das stellte Behördensprecherin Rose Gerdts-Schiffler am Montag auf Nachfrage der taz klar.

Noch am Wochenende hatte der Evangelische Pressedienst (epd) mit Verweis auf eine Sprecherin von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) vermeldet: „Bremen will Ausreisepflichtige auch in normaler Haft unterbringen“. Das komme bei „Risikopersonen“ in Betracht, hatte das Innenressort dem Pressedienst erklärt, in einer Antwort auf dessen Anfrage vom 4. Juli.

Dies wiederum widerspräche nicht nur dem geltenden EU-Recht und der Position des ebenfalls SPD-geführten Justizressorts, sondern auch dem bereits am 1. Juli – also vor der epd-Anfrage – vorgestellten rot-grün-roten Koalitionsvertrag. Der sieht eine solche befristete Ausnahme nicht vor. Dort steht ganz schlicht: „Eine gemeinsame Unterbringung von Abschiebehäftlingen und Strafgefangenen lehnen wir ab.“

Unter „Risikopersonen“ versteht die Innenbehörde aggressive oder suizidgefährdete Ausreisepflichtige sowie gefährliche Extremisten. Bremen werde in diesen Fällen die Aussetzung des Trennungsgebotes nutzen, die im Juni vom Bundesrat gebilligt wurde, so epd weiter.

Koalitionsvertrag wurde offenbar nicht genau gelesen

Das Trennungsgebot schreibt vor, dass Abschiebehäftlinge und Strafgefangene nicht gemeinsam untergebracht werden dürfen. Nun aber können aufgrund einer Überlastung der Abschiebe-Knäste zumindest bis Juni 2022 bis zu 500 Ausreisepflichtige auf dem Grundstück eines regulären Knastes eingesperrt werden – bei räumlicher Trennung zu den Strafgefangenen.

Das kam Innensenator Ulrich Mäurer durchaus entgegen. Denn auf Nachfrage der taz räumt Gerdts-Schiffler etwas verklausuliert ein, dass das Innenressort „in der Vergangenheit“ die Position vertreten habe, „dass wir in Einzelfällen bei besonders schwierigen Abschiebehäftlingen oder Risikopersonen gerne mit der Justizvollzugsanstalt gemeinsam nach Lösungen gesucht hätten“.

Die Koalitionäre hätten sich aber anders geeinigt, so Gerdts-Schiffler – „somit entfällt diese Option“. Dieser neue Sprachgebrauch war bei ihrer Kollegin, die die epd-Anfrage beantwortet hatte, offenbar noch nicht angekommen, auch nicht die Aussage des Koalitionsvertrages dazu.

Striktes Trennungsgebot

Mit dem EU-Recht war die bisherige Linie des Innenressorts ohnehin schlecht zu vereinbaren: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied schon 2014, dass Abschiebehäftlinge in speziellen Einrichtungen und getrennt von Strafgefangenen untergebracht werden müssen. Die Mehrzahl der deutschen Bundesländer besaß bis dahin aber keine solchen Einrichtungen.

Heute hat Bremen 13 Haftplätze im Abschiebegewahrsam, drei weitere Plätze werden gerade eingerichtet. Niedersachsen verfügt über insgesamt 48 Plätze für Abschiebehäftlinge. Das Bundesinnenministerium schätzt die Kapazitäten laut epd als „unzureichend“ ein – nach der Entscheidung des Bundesrates können die Länder die Zahl der Abschiebehaftplätze auf 1.000 verdoppeln.

Auch Justiz-Staatsrat Jörg Schulz (SPD) vertritt eine andere Position als Mäurer zuletzt noch – und die rot-grün-roten Beschlüsse hat man im Justiz-Ressort offenbar genauer gelesen: „Das Justizressort steht zur Aussage des Koalitionsvertrages“, erklärte Schulz am Montag auf Nachfrage der taz. „Eine gemeinsame Unterbringung von Justizvollzugshäftlingen und ausreisepflichtigen Personen ist nicht beabsichtigt und wird es aus Sicht des Justizressorts auch nicht geben“, so Schulz. Hierfür stehe das Gelände der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Bremen-Oslebshausen „nicht zur Verfügung“.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte schon 2014 entschieden, dass Abschiebehaft „nur in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen werden“ dürfe. Die Unterbringung „in einem besonderen Gebäude auf dem Gelände einer gewöhnlichen Haftanstalt“ ist dabei laut BGH unzulässig.

Im vergangenen November war sich das Gericht jedoch nicht mehr ganz so sicher – und hat beim EuGH angefragt, ob die Abschiebehaft nicht doch in einem Strafgefängnis vollzogen werden darf, „wenn von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht“. Der EuGH hat diese Frage aber noch nicht beantwortet.

„Keine Fakten schaffen“

Bis dahin dürften die Innenminister „keine Fakten schaffen und der Entscheidung des EuGH vorgreifen“, sagt der im Migrationsrecht tätige Bremer Anwalt Sven Sommerfeldt. Er findet jede Aufhebung des Trennungsgebotes „rechtlich äußerst bedenklich“. Zudem sei die JVA in Bremen mit dieser Aufgabe auch „überfordert“, so Sommerfeldt weiter.

Auch die Linkspartei äußerte sich kritisch: „Suizidgefährdete sollten zum Schutz des Lebens überhaupt nicht abgeschoben werden“, sagte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion Sofia Leonidakis der taz – und „für die anderen Personenkreise müssen Lösungen außerhalb der JVA gefunden werden“. Vorerst ist der rot-grün-rote Koalitionsstreit aber wohl abgewendet.

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